Basiskonzept

Das Basiskonzept der Physik der dynamischen Systeme ruht auf den drei Säulen Bilanz, konstitutive Gesetze und Rolle der Energie.

Bilanz

Für jede der sieben mengenartigen Grössen (Masse, Volumen, elektrische Ladung, Impuls, Drehimpuls, Entropie und Stoffmenge) kann bezüglich eines klar abgegrenzten Systems eine Bilanz formuliert werden. Die Bilanz besagt in ihrer einfachsten Form, dass die Summe über alle Stromstärken gleich der Änderungsrate des Inhalts ist

[math]\sum_i I_{M_i}=\dot M[/math]

Volumen, Entropie und Stoffmenge sind keine Erhaltungsgrössen. Nimmt eine dieser Mengen während des Austausches zu oder ab (Entropie kann nur zunehmen), muss die Bilanz durch eine Produktionsrate ergänzt werden

[math]\sum_i I_{M_i}+\Pi_M=\dot M[/math]

Impuls, Entropie und in einem gewissen Sinne auch Drehimpuls lassen sich konvektiv, leitungsartig sowie strahlungs- bzw. feldartig transportieren. Im letzten Fall tauscht das System die entsprechende Menge quellenartig aus. Damit erweitert sich die Bilanz zu

[math]\sum_i I_{M_i}+\sum_j I_{{M,con}_j}+\Sigma_M+\Pi_M=\dot M[/math]

Der griechische Buchstabe Sigma steht hier für Quellenstärke. Gibt das System die Menge über eine Quelle an die Umgebung ab, nimmt die Quellenstärke ein negatives Vorzeichen an und wird so zur Senke.

konstitutive Gesetze

Zu jeder mengenartigen Grösse lässt sich ein zugehöriges Potenzial angeben (Gravitationspotential, Druck, elektrisches Potential, Geschwindigkeit, Winkelgeschwindigkeit, absolute Temperatur und chemisches Potential). Die konstitutiven Gesetzt beschreiben ein spezielles Systemverhalten, indem sie eine Verbindung zwischen der Menge und dem Potenzial herstellen.

kapazitives Gesetz

Das kapazitive Gesetz liefert den Zusammenhang zwischen gespeicherter Menge und dem zugehörigen Potenzial eines homogenen Systems

[math]\varphi_M=f(M)[/math]

Dieser Zusammenhang nimmt bei einfachen Systemen oft die Form einer linearen Funktion an. Dann kann das Gesetz mit Hilfe einer Kapazität formuliert werden. Die Kapazität beschreibt das Verhältnis zwischen gespeicherter Menge und Änderung des zugehörigen Potenzials

[math]C_M=\frac{\Delta M}{\Delta \varphi_M}[/math]

Je mehr Menge pro Potenzialzunahme gespeichert werden kann, desto grösser ist die Kapazität. Der Begriff Kapazität darf auch bei nichtlinearem Zusammenhang verwendet werden. In diesem Fall ist die Kapazität aber differenziell zu definieren

[math]C_M(\varphi_M)=\frac{dM}{d\varphi_M}[/math]

Die Kapazität ist hier eine Funktion des Potenzials.

Beispiel: Die hydraulische Kapazität eines zylindrischen Gefässes ist gleich [math]C_V=\frac{\Delta V}{\Delta p}=\frac{A\Delta h}{\varrho g\Delta h}=\frac{A}{\varrho g}[/math]. Die Formel gilt auch für einen Stausee. Nur ist dort die Fläche eine Funktion der Füllhöhe oder des Drucks am Boden des Sees.

resistives Gesetz

Widerstände hindern den Strom am Fliessen

  • je grösser der Widerstand, desto grösser die anzulegende Potenzialdifferenz, damit der gleich Strom fliesst
  • je grösser der Widerstand, desto weniger Strom fliesst pro angelegter Potentialdifferenz hindurch

Fasst man diese beiden Eigenschaften zusammen, erhält man eine Definition für den Widerstand RM

[math]R_M=\frac{\Delta\varphi_M}{I_M}[/math]

Diese Definition kann auch angewendet werden, wenn der Widerstand nicht konstant ist. Bei einem solch nichtlinearen Zusammenhang wird oft die Funktion [math]\Delta\varphi_M(I)[/math] bzw. die Kennlinie angegeben. Eine differentielle Definition des Widerstandes ist auch möglich, ergibt aber andere Werte.

Beispiel: Strömt eine zähe Flüssigkeit laminar durch ein langes, dünnes Rohr, ist der Widerstand konstant. Bei weniger zähen Flüssigkeiten, dickeren Rohren und grösseren Strömungsgeschwindigkeiten wird die Strömung turbulent. Bei einer turbulenten Strömung nimmt die Druckdifferenz über dem Rohr näherungsweise quadratisch mit der Volumenstromstärke zu. Der Strömungswiderstand selber ist dann eine lineare Funktion des Durchsatzes. Häufig verzichtet man bei turbulenten Strömungen auf den Begriff Widerstand und wählt eine andere Beschreibung.

induktives Gesetz

Induktives Verhalten tritt in der Hydrodynamik, der Mechanik und der Elektrodynamik auf. Die hydraulische Induktivität folgt aus der Trägheit der Flüssigkeit. Zug-, Druck- und Torsionsfedern verhalten sich ebenfalls induktiv. Die elektrische Induktivität basiert auf Induktionsgesezt von Faraday, wonach die Änderungsrate des magnetischen Flusses eine Spannung induziert.

Die Induktivität LM beschreibt den Zusammenhang zwischen der angelegten Potenzialdifferenz und der Änderungsrate des durchfliessenden Stromes

[math]L_M=\frac{\Delta\varphi_M}{\dot I_M}[/math]


Bei einer Rohrleitung ist die hydraulische Induktivität gleich Dichte (der Flüssigkeit) mal Länge durch Querschnitt. In der Translations- und der Rotationsmechanik entspricht die Induktivität dem Reziprokwert der Federkonstante. Die Grösse einer elektrischen Induktivität hängt von der Geometrie der Wicklung und den verwendeten Stoffe ab.

Das induktive Gesetz lässt sich auch nach der Stromstärke auflösen

[math]I_M=\int\frac{\Delta\varphi_M}{L_M}dt[/math]

Diese Darstellung wird hauptsächlich in der Mechanik verwendet, wobei man statt der Induktivität den Reziprokwert (Federkonstante oder die Richtgrösse D) verwendet. Zudem ersetzt man die Zeit als frei Variable durch die Strecke oder den Winkel

[math]I_{px}=\int D(\Delta v_x)\Delta v_x dt=\int D(\Delta x) d(\Delta x)=D\Delta x[/math] oder [math]I_{Lx}=\int D^*(\Delta\omega_x)\Delta\omega_x dt=\int D^*(\Delta\phi) d(\Delta\phi)=D^*\Delta\phi[/math]

Die letzte Umformung in den beiden Gesetzen ist nur erlaubt, falls die Richtgrösse D oder die Winkelrichtgrösse D* eine Konstante ist. Üblicherweise schreibt man statt Impulsstromstärke Kraft und statt Drehimpulsstromstärke Drehmoment, obwohl auf jede Feder zwei Kräfte bzw. zwei Drehmomente einwirken (eine Kraft ist eine Impulsstromstärke und ein Drehmoment eine Drehimpulsstromstärke bezüglich eines Systems).

Rolle der Energie

Die Energie ist eine reine Buchhaltungsgrösse, deren Bedeutung oft überschätzt wird. Nur bei einer Prozesskopplung oder einer Systemkopplung bildet die Energieerhaltung eine Randbedingung, die nicht verletzt werden darf.

zugeordneter Energiestrom

Jedem leitungsartigen Mengenstrom (elektrischer Strom, Impulsstrom, Drehimpulsstrom, Entropiestrom) darf ein [[zugeordneter Energiestrom|Energiestrom zugeordnet werden

[math]I_W=\varphi_MI _M[/math]

Die Potenziale heissen dann elektrisches Potenzial, Geschwindigkeit, Winkelgeschwindigkeit und absolute Temperatur. Diese Zuordnung gilt zudem für konvektive Ströme, indem man dem Volumenstrom über den Druck, dem Massenstrom über das Gravitationspotenzial und dem Stoffmengenstrom über das chemische Potenzial einen Energiestrom zuordnet.

Prozessleistung

Fliesst einer der oben erwähnten Ströme ungeschmälert durch ein System hindurch, setzt er eine Prozessleistung frei oder nimmt diese auf

[math]P=\Delta\varphi_M I_M[/math]

Im Gegensatz zum zugeordneten Energiestrom, der eine reine Buchhaltungsgrösse darstellt, handelt es sich bei der Prozessleistung um ein Arbeitsvermögen pro Zeit. Die freigesetzte Prozessleistung kann auf einen zweiten Prozess übertragen werden. Man sagt dann, dass der erste Prozess den zweiten treibt.

Systemdiagramm

Die hier skizzierte Struktur einer umfassenden Beschreibung elementarer Prozesse lässt sich direkt auf ein Systemdiagramm (graphischen Benutzeroberfläche eines systemdynamischen Werkzeuges) übertragen.