Drehimpuls und Energie: Unterschied zwischen den Versionen

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Alle möglichen Zusammenhänge der Rotationsmechanik können im [[Flüssigkeitsbild]] dargestellt werden. Dabei gilt folgende Zuordnung
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*Drehimpuls = "schwere" Flüssigkeit
 
*Drehimpuls = "schwere" Flüssigkeit
 
*Winkelgeschwindigkeit = Füllhöhe
 
*Winkelgeschwindigkeit = Füllhöhe

Version vom 19. Dezember 2007, 11:14 Uhr

sechs Bewegungsmöglichkeiten des starren Körpöers

Ein starrer Körper kann sich in drei Richtungen bewegen und um drei normal zueinander stehende Achsen drehen. Ein mathematischer Satz von Emmy Noether besagt nun, dass zu jeder kontinuierlichen Symmetrie eines physikalischen Systems eine Erhaltungsgrösse gehört und umgekehrt. Da der starre Körper sechs kontinuierliche Symmetrien besitzt (drei Möglichkeiten der Translation und drei der Rotation), müssen sechs Erhaltungsgrössen existieren. Diese sechs Erhaltungsgrössn sind die drei Komponenten des Impulses und des Drehimpulses.

Der Impuls ist aber mehr als nur eine Erhaltungsgrösse. Der Impuls, den man in der Umgangssprache Schwung oder Wucht nennt, ist die bilanzierfähige Primärgrösse der Translationsmechanik. Analog verhält es sich mit dem Drehimpuls. Der Drehimpuls ist genauso eine Primärgrösse der Physik wie die Energie-Masse, der Impuls, die elektrische Ladung oder die Entropie. Wählt man ein raumfestes Koordinatensystem, kann der Drehimpuls analog zum Impuls in drei getrennt zu bilanzierende Grössen aufgeteilt werden. In dieser Vorlesung wird die Rotationsmechanik um eine feste Achse mit Hilfe des Drehimpulses aufgebaut.

Lernziele

Impuls

Der Impuls (Schwung oder Wucht) ist die Basismenge der Translationsmechanik. Der Impulsinhalt eines Systems erzwingt die Geschwindigkeit von dessen Massenmittelpunkt. Der Zusammenhang zwischen Masse (Kapazität), Geschwindigkeit (Potenzial) und Impuls kann im Flüssigkeitsbild visualisiert werden.

Kombiniert man die Impulsbilanz (die Summe über alle Impulsstromstärken ist gleich Änderungsrate des Impulsinhaltes) mit dem kapazitiven Gesetz (Impulsinhalt gleich Masse mal Geschwindigkeit), erhält man das Grundgesetz der Mechanik

[math]\sum_i\vec F_i=\dot{\vec p}=m\dot{\vec v}[/math]

Eine Kraft ist demnach eine Impulsstromstärke bezüglich eines ausgewählten Körpers.

Drehimpuls

Basisexperiment

Impuls und Drehimpuls sind so alltägliche Grössen, dass wir uns ihrer gar nicht bewusst sind. Wir tauschen Impuls und Drehimpuls mit der Umgebung aus, sobald wir marschieren, Treppen steigen, Velo fahren oder schwimmen. Um den Drehimpuls kontrolliert zu untersuchen, lassen wir zwei frei drehbare Scheiben aufeinander wirken. Die Scheiben sind um eine vertikale Achse frei drehbar gelagert. Zwischen den Scheiben befindet sich eine Spriralfeder, die mehr oder weniger stark gespannt werden kann. Entsperrt man die Arretierung der Feder, beginnen die beiden Scheiben gegenläufig zu rotieren. Setzt man danach die ober Scheibe auf die untere ab, stehen beide Körper nach kurzer Zeit wieder still.

Die Erklärung dieses Vorgangs ist denkbar einfach. Sobald die Arretierung gelöst wird, pumpt die Feder Drehimpuls aus der einen Scheibe in die andere. Die Scheibe, die Drehimpuls abgibt, beginnt sich in negative Richtung zu drehen, die Drehimpuls aufnehmende Scheibe dreht sich vorwärts. Wie beim Impuls muss das Vorzeichen geometrisch festgelegt werden. Zur Festlegung geht man nach der Regel der rechten Hand vor. Dabei legt man den Daumen der rechten Hand in Richtung der Drehachse, die Finger zeigen dann die positive Drehrichtung an. Weist der Daumen nach oben und blickt man von oben auf das Gerät, ist der Gegenuhrzeigersinn positiv.

Wie der Impuls hängt auch der gespeicherte Drehimpuls von zwei Faktoren ab, der Trägheit (Kapazität) und der "Füllhöhe" (Potenzial). Als Füllhöhe wirkt die Winkelgeschwindigkeit. Die Winkelgeschwindigkeit besagt, wie schnell sich ein Körper dreht. Zeichnet man eine Linie auf die Oberfläche eines starren Körpers und misst den Winkel Δ φ, um den sich diese Linie in einem bestimmten Zeitabschnitt Δ t gedreht hat, ist die Winkelgeschwindigkeit ω gleich der Änderungsrate dieses Winkels

[math]\omega=\frac{\Delta \varphi}{\Delta t}[/math]

Die Winkelgeschwindigkeit wird in 1/s statt in rad/s gemessen.

Die Drehträgheit heisst offiziell Massensträgheitsmoment J. Die Grösse des Trägheitsmoments hängt von der Masse und deren Verteilung ab. Ersetzt man die eine Scheibe durch eine halb so dicke, rotiert sie nach der Einwirkung der Spiralfeder (minus) doppelt so schnell wie die andere. Dies ist zu erwarten, weil mit der Dicke auch die Masse halbiert wird. Nimmt man eine Scheibe mit gleicher Masse, aber einem Radius, der Wurzel aus zwei mal kleiner ist, verdoppelt sich die Drehzahl ebenfalls. Das Massenträgheitsmoment einer Scheibe ist demnach proportional zur Masse und proportional zur Grundfläche. Je weiter nach aussen die Masse verteilt ist, desto träger wird ein Körper. Diese Eigenschaft lässt sich bei der Pirouette bestens studieren. Die auf der Spitze ihrer Schlittschuhe stehende Eiskunstläuferin ist bezüglich des Drehimpulses gegen Erde isoliert. Indem sie ihr Massenträgheitsmoment mit Hilfe der Arme und Beine verändert, vergrössert oder verkleinert sie ihre Winkelgeschwindigkeit.

Die Einheiten sind in der Rotationsmechanik ein leidiges Thema. Statt die Grundgrösse Drehimpuls mit einer eigenen Einheit zu versehen, werden alle Einheiten der Rotationsmechanik aus den Einheiten der Translationsmechanik abgeleitet. Deshalb wird das Massenträgheitsmoment in kgm2 gemessen. Wenigstens sind die Einheiten so gewählt, dass der Drehimpulsinhalt L eines rotierenden Körpers direkt als Produkt aus Trägheitsmoment und Winkelgeschwindigkeit geschrieben werden kann

[math]L=J\omega[/math]

Der Drehimpuls wird folglich in kgm2m/s gemessen. Im Karlsruher Physikkurs wird der Drehimpuls zu Ehren des Baslers Leonhard Euler in Euler (E) angegeben (1 E = 1kgm2m/s).

Ströme und Bilanz

Impuls, der in seine eigene Bezugsrichtung durch einen Festkörper fliesst, erzeugt Druck. Fliesst der Impuls gegen seine Bezugsrichtung, steht das durchflossene Material unter Zug. Diesen Zusammenhang lässt sich bei der Eisenbahn sehr schön studieren. Fliesst doch der Impuls durch die Puffer vorwärts und durch die Zugvorrichtung rückwärts von Wagen zu Wagen.

Dreht sich ein Propeller in positive Richtung, fliesst vom Motor her ein kontinuierlicher Drehimpulsstrom an die Luft weg. Diese speichert den aufgenommenen Drehimpuls, indem sie einen kontinuierlichen Wirbel bildet. Die Antriebswelle wird dabei zu einer Linksschraube verdreht. Diese Regel gilt allgemein

  • Drehimpuls fliesst vorwärts - linksschraubige Verdrehung
  • Drehimpuls fliesst rückwärts - rechtsschraubige Verdrehung

Später werden wir diese Regel noch ausbauen müssen. Drehimpuls, der quer zu seiner Bezugsrichtung transportiert wird, belastet das durchflossene Bauteil auf Biegung.

Eine Kraft ist eine Impulsstromstärke bezüglich eines vorher ausgewählten Systems. In Analogie dazu wird Stärke eines Drehimpulsstromes bezüglich eines ausgewählten Systems als Drehmoment bezeichnet. Da ein Drehmoment in Newtonmeter (Nm) gemessen wird, darf der Drehimpuls auch in Newtonmetersekunde (Nms) angegeben werden.

Rotiert ein Körper um eine feste Achse, nimmt die Drehimpulsbilanz eine zur Impulsbilanz analoge Gestalt an

[math]\sum_i M_i=\dot L=J\dot \omega[/math]

Die Änderungsrate der Winkelgeschwindigkeit nennt man auch Winkelbeschleunigung.

Energie

M-ω- und P(M)-ω-Diagramm

Die Winkelgeschwindigkeit legt fest, wie stark ein rotierender Körper mit Drehimpuls "gefüllt" ist. Die Winkelgeschwindigkeit ist zudem das Energiebeladungsmass des Drehimpulsstromes, d.h. die Winkelgeschwindigkeit ordnet jedem Drehimpulsstrom einen Energiestrom zu. Der zugeordnete Energiestrom ist folglich gleich Winkelgeschwindigkeit mal Stärke des Drehimpulsstromes

[math]I_W=\omega I_L[/math]

Die Energie fliesst gegen den Drehimpuls, sobald sich eine Antriebswelle in negative Richtung dreht. Wendet man die Formel auf einen ausgewählten Körper an, nennt man die Stärke des Drehimpulsstromes Drehmoment und der zugeordnete Energiestrom wird zur Leistung dieses Drehmoments. Die Leistung eines Drehmoments ist demnach gleich Drehmoment mal Winkelgeschwindigkeit der Angriffsfläche

[math]P(M)=M\omega[/math]

Um die Leistung eines Motors zu messen, wird die Antriebswelle gebremst. Aus Drehmoment und Drehzahl (Umdrehung pro Minute) lässt sich dann die Leistung berechnen. Im Drehmoment-Drehzahl-Diagramm ist die Leistung als Rechteckfläche (ein Punkt im Ursprung, der gegenüberliegende Punkt auf der Kurve) erkennbar.

Durchfliesst ein Drehimpulsstrom eine Rutschkupplung, wird eine Prozessleistung freigesetzt. Diese Leistung ist gleich der Differenz der beiden zugeordneten Energieströme, also gleich

[math]P=\Delta \omega I_L[/math]
Bell-Boeing V-22 "Osprey"

Der Senkrechtstarter Osprey liefert ein schönes Illustration für diese Prozessleistung. Weil die beiden Rotoren gegeneinander drehen, pumpt der eine Drehimpuls aus der Luft und der andere gibt den entsprechenden Drehimpulsstrom an die Luft zurück. Dabei muss der eine Motor den Drehimpuls vom sich in negative Richtung drehenden Rotor auf das Niveau des Senkrechtstarters (Winkelgeschwindigkeit gleich Null) pumpen. Der andere Motor fördert dann den gleichen Strom von Null auf die Winkelgeschwindigkeit des andern Rotors. Dank der Symmetrie der ganzen Anordnung sind sowohl die Drehimpulsströme als auch die "Pumphöhen" gleich gross. Würde einer der beiden Motoren ausfallen, wäre die Bilanz nicht mehr ausgeglichen und der Osprey würde zu rotieren anfangen.

Die Energie, die zusammen mit dem Drehimpuls gespeichert ist, heisst Rotationsenergie. Analog zur kinetischen Energie ist die Rotationsenergie gleich Drehimpuls mal halbe Winkelgeschwindigkeit

[math]W_{rot}=\frac{\omega}{2}L=\frac {J}{2}\omega^2=\frac {L^2}{2 J}[/math]

Die Rotationsenegie wird freigesetzt, falls der Körper bei festem Trägheitsmoment zum Stillstand kommt. Je nach anfänglicher Drehrichtung setzt dann der gegen das Bezugssystem abfliessende (positive Drehrichtung) oder von dort zufliessende Drehimpuls (negative Drehrichtung) diese Energie frei.

Flüssigkeitsbild

Flüssigkeitsbild der Pirouette

Alle möglichen Zusammenhänge der Rotationsmechanik können im Flüssigkeitsbild dargestellt werden. Dabei gilt folgende Zuordnung

  • Drehimpuls = "schwere" Flüssigkeit
  • Winkelgeschwindigkeit = Füllhöhe
  • Trägheitsmoment = Grundfläche der Töpfe
  • zugeordneter Energiestrom = potentielle Energie des Flüssigkeitsstromes
  • Prozessleistung = Prozessleistung des Flüssigkeitsstromes

Die Drehimpulsbilanz wird so zu einer Volumenbilanz und die Rotationsenergie ist als potentielle Energie der Flüssigkeit zu erkennen.

Sogar die Dynamik der Pirouette lässt sich im Flüssigkeitsbild leicht analysieren. Verkleinert die Eiskunstläuferin ihr Trägheitsmoment, erscheint diese Tätigkeit im Flüssigkeitsbild als ein Hochquetschen des gespeicherten Drehimpulses. Die dabei von der Läuferin aufzuwendende Energie ist somit gleich gespeicherte Flüssigkeit mal Höhenänderung des zugehörigen "Schwerpunktes", also gleich Drehimpuls mal halbe Änderung der Winkelgeschwindigkeit.

Analogie