Freischneiden

In der technischen Mechanik versteht man unter Freischneiden eine operationalisierte Vorgehensweise, um aus einer gegebenen Problemstellung heraus alle auf die einzelnen Körper einwirkenden Kräfte und Drehmomente zu finden und graphisch darzustellen. Das in Einzelkörper zerlegte und mit Kräften und Drehmomenten versehene System nennt man dann das Schnittbild (engl. free body diagram) der Problemstellung.

Kräfte und Drehmomente

Jeder Körper kann Impuls und Drehimpuls über die Oberfläche (leitungsartig) oder über das Volumen (quellenartig) mit der Umgebung austauschen. Die Stärken der leitungsartigen Impulsströme nennt man Oberflächenkräfte, die Stärken der Impulsquellen nennt man Gewichtskraft oder elektromagnetische Kraf. Beim Drehimpuls ist die Unterscheidung etwas weniger eindeutig, weil der Drehimpulsstrom im Gegensatz zum Impulsstrom nicht lokalisierbar ist. Dennoch darf man bezüglich einzelner Bauteile zwischen Drehimpulsstrom und Drehimpulsquelle unterscheiden: Drehimpulsströme verdrehen oder biegen ein Bauteil, Drehimpulsquellen entstehen immer dann, wenn ein Impulsstrom quer zu seiner Bezugsrichtung fliesst.

Lässt man das elektromagnetische Feld weg, muss nur die Wirkung des Gravitationsfeldes einbezogen werden. Zwischen den Begriffen der Physik der dynamischen Systeme und der Begriffswelt der technischen Mechanik gilt folgende Zuordnung:

SystemPhysik technische Mechanik Einheit
Impulsstromstärke Kraft N
Impulsquellenstärke Gewichtskraft N
Drehimpulsstromstärke Drehmoment Nm
Drehimpulsquellenstärke Drehmoment eines Kräftepaares Nm

Schnittverfahren

Aus der systemdynamischer Sicht ist Freischneiden eine ganz natürliche Tätigkeit

  1. Körper auswählen und gegen die Umgebung abgrenzen (Bilanzgebiet für Impuls und Drehimpuls festlegen)
  2. Die Gewichtskraft mit einem im Massenmittelpunkt angreifenden und nach unten gerichteten Pfeil markieren (die Wirkung des Graviationsfeldes bezüglich Translation und Rotation kann durch eine punktförmige Impulsquelle im Massenmittelpunkt ersetzt werden)
  3. An jeder Berührfläche (Schnittfläche) einen Kraft- und einen Drehmomentpfeil einzeichnen (die Stärken der durch diese Fläche durchtretenden Impuls- und Drehimpulsströme mit einem Pfeil markieren)
  4. Kraft- und Drehmomentpfeile in Normal- und Tangentialkomponenten zerlegen (die Stärken der Impuls- und Drehimpulsströme bezüglich lokalen Koordinaten beschreiben
  5. Durch Gelenke und angrenzende Bauteile (Seile, Pendelstützen) verursachte Einschränkungen bezüglich Kräfte und Drehmomente berücksichtigen (Gelenke und Bauteile lassen oft nur gewisse Komponenten des Impulses und des Drehimpulses durch)

Die durch Kräfte und Kräftepaare verursachten Drehmomente, die Drehimpulsquellen, werden erst bei der eigentlichen Formulierung der Bewegungsgesetze berücksichtigt.

Beispiele

Einmassenschwinger

Masse Feder Daempfer.gif

Skizze zeigt einen Einmassenschwinger als System zusammen mit dem Schnittbild des schwingenden Körpers. Bei diesem einfachen Beispiel könnte man auf das Schnittbild verzichten und die ganze Dynamik direkt in der Sprache der Physik der dynamischen Systeme formulieren.

Das Bild lässt sich verbessern, indem jeder der drei Körper (Masse, Dämpfer, Feder) mit einer eigenen Farbe gezeichnet und mit den richtigen Kraftpfeilen versehen wird. Die als masselos gedachten Elemente Dämper und Feder müssen dann mit je zwei Kraftpfeilen versehen werden, die den durchfliessenden Impulsstrom markieren (Ein- und Austritt). Je zwei verschieden farbige Kraftpfeile ergeben dann ein Wechselwirkungspaar (Impulsstromstärken an der gleichen Schnittfläche aber bezüglich zwei verschiedener Körper). Wer von der Idee des Impulses als mengenartige oder transportierfähige Grösse an dieses Problem herantritt, kann jederzeit die Vollständigkeit der Schnittbilder anhand des Impulsstromes überprüfen.

Balken

Kräfte

Die Skizze zeigt das Schnittbild eines Balkens mit drei gegebenen (eingeprägten) Kräften (rot) und den drei Zwangskräften der beiden Lager (blau). Die Lager sind so gestaltet, dass das Problem statisch eindeutig, also ohne Berücksichtigung der Verformung des Balkens, gelöst werden kann. So lässt das rechte Lager nur Impuls der Vertikalkomponente durch.

Arbeitsbühne

Lageplan und freigemachte Bauteile

Die Problemstellung wird in einem Lageplan dargestellt. Danach zeichnet man alle Bauteile einzeln. Nach dieser Zerlegung des Systems werden alle bekannten und unbekannten Kräfte bezüglich eines sinnvoll gewählten, rechtwinkligen Koordinatensystems in Komponenten zerlegt. Jede Kraftkomponente zeigt dann den Austausch einer der drei Impulskomponenten an. Für jede unbestimmte Kraft wird willkürlich ein Richtungssinn angenommen und mit einem Pfeil symbolisiert, wobei das Wechselwirkungsprinzip (Impulsaustritt bei einem Körper entspricht Impulseintritt beim nächsten) konsequent berücksichtigt wird. Alle Kräfte werden danach geeignet bezeichnet, wobei die Paare einer Wechselwirkung den gleichen Namen bekommen. Wer farbige Stifte zur Hand, verwende für jedes Bauteil mitsamt den Kräften eine eigene Farbe.

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