Mechanik des starren Körpers

Die Mechanik des starren Körpers sollte von jeder Ingenieurin und jedem Ingenieur im Prinzip verstanden werden. In dieser Vorlesung wird aber nur die Bewegung in der Ebene eingehend besprochen. Das zugehörige Lösungsverfahren ist so grundlegend, dass Sie es wie ein Rezept beherrschen müssen.

Lernziele

Struktur

Die Mechanik des starren Körpers besitzt eine ziemlich komplexe Struktur. Teilt man diese Struktur in Bilanzgleichungen, Verbindung zur Kinematik und Berechnung von Strecke und Drehwinkel auf, wird sie etwas transparenter.

Bilanzgleichungen

Ein Körper vermag Impuls und Drehimpuls zu speichern. Beide Grössen dürfen bezüglich eines raumfesten Bezugssystem in sechs skalare Mengen aufgespalten werden, die einzeln zu bilanzieren sind. Folglich müssen die Bilanzgleichungen eines starren Körpers mit sechs Töpfe im Systemdiagramm dargestellt werden. Die zugehörigen Stromstärken bezüglich eines ausgewählten Systems heissen Kräfte bzw. Drehmomente. Man Unterscheidet zwei Arten von Kräften, den Oberflächenkräften und der Gewichtskraft. Bei den Oberflächenkräften fliesst der Impuls leitungsartig (durch das Material hindurch) über die Systemgrenze. Im Falle der Gewichtskraft tauscht der Körper über sein ganzes Volumen verteilt Impuls mit dem Gravitationsfeld aus. Die Impulsbilanz beschreibt nun den Zusammenhang zwischen den Stromstärken (Kräften) und der Änderungsrate des Inhalts

[math] \sum_i\vec F_i+m\vec g=\dot{\vec p}[/math]

Hier sind nur die Stärken der Impulsströme als Kräfte bezeichnet worden. Die gravitative Impulsquelle wird als (schwere) Masse mal Gravitationsfeldstärke geschrieben.

Drehmoment einer Kraft

Bei der Drehimpulsbilanz unterscheidet man zwischen reinen Drehmomenten und Drehmomenten, die eine Kraft begleiten. Reine Drehmomente werden von verdrehten Wellen oder vom elektromagnetischen Feld erzeugt. Zusätzliche Drehmoment treten als Begleiterscheinung von Kräften auf. Ein der Kraft zugeordnetes Drehmoment ist gleich Kraft mal Abstand der Wirklinie der Kraft vom Massenmittelpunkt. Die Drehimpulsbilanz nimmt damit die folgende Gestalt an

[math] \sum_i\vec M_i+\sum_j(\vec r_j\times\vec F_j)=\dot{\vec L}[/math]

Der Distanzvektor im Kreuzprodukt zeigt vom Massenmittelpunkt zum "Angriffspunkt" der Kraft. Diese Zuordnung hängt mit der Kopplung zwischen den Impuls- und Drehimpulstransporten zusammen. Fliesst ein Impulsstrom quer zu seiner Bezugsrichtung, bilden sich Quellen und Senken von Drehimpuls (siehe letzte Vorlesung). Nun fliessen im Körper alle Impulsströme im Mittel bis zum Massenmittelpunkt. Folglich erzeugt jede Kraft auf einen Körper eine Hebelwirkung bezüglich dieses Trägheitszentrums. Man beachte, dass jede Kraft ungeschmälert in die Impulsbilanz eingeht. Eine Kraft führt also nicht zu einer kleineren Wirkung (Beschleunigung), nur weil ihre Wirklinie am Massenmittelpunkt vorbei läuft. Die Wirkung der Kraft darf unter keinen Umständen mit dem zugeordneten Drehmoment "verrechnet" werden.

Bewegung

Der Impulsinhalt legt die Geschwindigkeit des Massenmittelpunktes fest

[math] \vec v_{MMP}=\frac{\vec p}{m}[/math]

Setzt man diese Beziehung in die Impulsbilanz ein, erhält man das Grundgesetz der Mechanik

[math]\sum_i \vec F_i+m\vec g=m\vec a_{MMP}[/math]

Bei einer allgemeinen Bewegung des starren Körpers kann die Winkelgeschwindigkeit nicht als Drehimpuls durch Massenträgheitsmoment geschrieben werden. Die Winkelgeschwindigkeit muss nicht einmal in Richtung des Drehimpulsvektors zeigen. Jeder starre Körper besitzt aber mindestens drei zueinander normal stehende Achsen (Hauptachsen), bezüglich denen die einfache Formulierung (Winkelgeschwindigkeit gleich Drehimpuls durch Trägheitsmoment) zutrifft. Zu jeder dieser drei Hauptachsen gehört dann aber ein eigenes Massenträgheitsmoment. Sobald die drei Hauptträgheitsmomente sowie die jeweilige Lage der Hauptachsen bekannt sind, kann die Winkelgeschwindigkeit aus dem aktuellen Drehimpulsinhalt berechnet werden.

Ort und Orientierung

Den momentanen Ort des Körpers oder etwas präziser, die Position seines Massenmittelpunktes, gewinnt man direkt durch Integration der zugehörigen Geschwindigkeit über die Zeit. Die Orientierung des Körpers im Raum erfordert etwas mehr Kenntnisse in Geometrie, müssen doch aus der Winkelgeschwindigkeit die entsprechenden Drehwinkel ermittelt werden. Eine mögliche Parametrisierung dieses Problems geht auf Leonhard Euler zurück. Heute bettet man die Drehbewegung meist in die Mathematik der Quaternionen ein.

Die Rotationsbewegung eines starren Körpers zu berechnen ist einiges aufwändiger als der Umgang mit der Translation. Zusammenfassend halten wir fest

  • Die Lage des Massenmittelpunktes ergibt sich aus der Impulsbilanz, einer Division mit der Masse und einer Integration über die Zeit.
  • Um aus der Drehimpulsbilanz die Winkelgeschwindigkeit zu ermitteln, muss die Orientierung des Körpers bekannt sein.
    • Das Massenträgheitsmoment des Körpers (ein Tensor) vermittelt dann einen linearen Zusammenhang zwischen Drehimpuls und Winkelgeschwindigeit.
    • Danach ist aus der Winkelgeschwindigkeit noch die Orientierung des Körpers zu berechnen.

ebene Bewegung

Die ebene Bewegung des starren Körpers ist um einiges einfacher zu beschreiben als die räumliche. In der Ebene können nur zwei Komponenten des Impulses und eine Komponente des Drehimpulses bilanziert werden. Damit entfällt die ganze Problematik mit den Hauptachsen und der komplexen Winkelberechnung. Winkel und Massenträgheitsmoment dürfen als skalare Grössen behandelt werden.

Die Bewegung des Körpers kann mit Hilfe von drei skalaren Grundgesetzen beschrieben werden

[math]\sum_i F_{x_i}=ma_x[/math]
[math]\sum_i F_{y_i}+mg=ma_y[/math]
[math]\sum_i M_{z_i}+\sum_j(x_jF_{y_j}-y_jF_{x_j})=J\alpha[/math]

Hier wird angenommen, dass die y-Achse in Richtung des Gravitationsfeldes zeigt. Mit ax und ay ist die Beschleunigung des Massenmittelpunktes gemeint. Die Kräfte und Drehmomente können als Funktion der Zeit gegeben sein (aufgeprägt) oder von der Bewegung und Lage des Körpers abhängen.

Rezept

Zur Analyse der ebenen Bewegung geht man nach folgendem Rezept vor

  1. Körper freischneiden, d.h. Systemgrenze festlegen, alle Kräfte und reine Drehmomente identifizieren, Gewichtskraft zusätzlich einzeichnen
  2. Koordinatensystem optimal wählen, alle Kräfte in x- und y-Richtung zerlegen, den Kräfte je ein Drehmoment zuordnen
  3. alle drei Grundgesetze formulieren
  4. Gleichungssystem durch zusätzliche Bedingungen vervollständigen. Dazu gehören
    1. Kraftgesetze wie Federgesetz oder Reibungsgesetze
    2. kinematische Verknüptungen wie Rollbedingung oder Wirkung von Lagern

Besteht das System aus mehreren Körpern, muss diese Analyse für jedes Teilsystem durchgeführt werden. Entsprechend kompliziert können dabei die kinematischen Bedingungen ausfallen.

Beispiele

Fadenspule

Yo-Yo

Hula-Hoop

systemdynamisches Modell: Magnus-Rolle

Kontrollfragen

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