Rotierendes Bezugssystem: Unterschied zwischen den Versionen
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<math>\varphi_Z = -\frac {\omega^2 r} {2}</math> |
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Das Potenzial ist immer kleiner Null, weil es hier auf das Zentrum des rotierenden Systems bezogen wird. |
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Version vom 13. August 2006, 16:32 Uhr
Phänomene
Nimmt man einen Kinderballon mit auf eine abendliche Busfahrt mit, stellt man bei jeder Kurve fest, dass die müden Köpfe der Passagiere die Tendenz haben, gegen aussen zu kippen, der Ballon sich aber wie ein Motorradfahrer in die Kurve legt. Selber spürt man man eine Art Geisterhand, die einem vom Kurvenzentrum weg nach aussen drückt.
Lässt man ein grosses, mit Wasser gefülltes Glas um die eigene Achse rotieren, hebt sich der Spiegel entlang des Randes an. Bei gleichförmiger Rotation bildet die Wasseroberfläche ein Paraboloid.
Auf der Nordhalbkugel unserer Erde drehen sich die Hochdruckgebiete immer im Uhrzeigersinn und die Tiefdruckgebiete wirbeln gegen den Drehsinn der Uhrzeiger. Auf der südlichen Hemisphäre sind die Verhältnise gerade umgekehrt.
Theorie
Üblicherweise versteht man in der Physik unter einem Bezugssystem ein reines Referenz- oder Koordinatensystem, auf das der Ort und die Orientierung eines Körpers bezogen wird. Als eigentliches Beobachtunssystem kommen aber nur materielle Systeme wie Bahnwagen, Lift, Bus oder Himmelkörper in Frage. Solche Systeme können scheinbar beliebig viel Impuls und Drehimpuls aufnehmen, ohne ihr Bewegungsverhalten merklich zu ändern. Rein kinematisch darf die Bewegung eines Körpers von jedem Bezugssystem aus beschrieben werden, Physik im Sinne von Experimente durchführen, kann man aber nur von einem materiellen Bezugssystem aus betreiben.
Geschwindigkeit und Beschleunigung
Die Geschwindigkeit eines Punktes kann in eine Geschwindigkeit relativ zum rotierenden System und die Geschwindigkeit des Ortes auf dem rotierenden System relativ zum Ruhesystem ausgedrückt werden
[math]\vec v = \vec v_S + \vec \omega \times \vec r_S[/math]
Der Index S weistdarauf hin, dass sich diese Grösse auf das rotierende Sysem bezieht. Der Ortsvektor r, nicht aber seine Komponentendarstellung, sieht in beiden Systemen gleich aus.
Die Beschleunigung kann auf ähnliche Art und Weise zerlegt werden
[math]\dot {\vec v} = \dot {\vec v_S} + 2 (\vec \omega \times \vec v_S) + (\vec \omega \times \vec r_S) \times \vec \omega[/math]
Impulsbilanz
Die Impulsbilanz bezüglich eines kleinen Körpers kann zusammen mit dem Kapzitivgesetz zum Newtonschen Aktionsprinzip verschmolzen werden
[math]\sum_i \vec F_i + \vec F_G = m \dot {\vec v}[/math]
Nun ist die (träge) Masse nicht nur Impulskapazität sondern als schwere Masse auch noch Teil der Impulsquelle. Die an der Oberfläche eines Körpers direkt messbaren Impulsströme, die Oberflächenkrafte Fi, sind über die Impulsbilanz mit der Beschleunigung und mit der Gravitationsfeldstärke verknüpft.
[math]\sum_i \vec F_i + m \vec g = m \dot {\vec v}[/math]
Weil in beiden Termen die Masse als Faktor vorkommt (die schwere Masse ist gemäss des Äquivalenzprinzips von Einstein durch kein Experiment von der trägen zu unterscheiden), sind Gravitationsfeldstärke und Beschleunigung des Körpers eine Frage des Bezugssystems, also Ansichtssache. Im SI werden denn auch beide Grössen mit der gleichen Einheit gemessen.
Veralllgemeinerte Gravitation
Eretzt man in der Impulsbilanz, im Aktionsprinzip von Newton, die Beschleunigung durch die weiter oben eingeführte Zerlegung bezüglich des rotierenden Bezugssystems und addiert alle Terme ausser der Relativbeschleunigung von der Inhalts- auf die Stromseite, erhält man die Impulsbilanz oder das Aktionsprinzip relativ zum rotierenden Bezugssystem
[math]\sum_i \vec F_i + m [\vec g - 2 (\vec \omega \times \vec v_S) - (\vec \omega \times \vec r_S) \times \vec \omega] = m \dot {\vec v}[/math]
Der Ausdruck in der rechteckigen Klammer steht für die Gravitationsfeldstärke bezüglich des rotierenden Systems. Diese Gravitationsfeldstärke weist einen statischen und einen dynamischen Teil auf
statischer Teil: [math]\vec g_s = \vec g - (\vec \omega \times \vec r_S) \times \vec \omega[/math]
dynamischer Teil: [math]\vec g_s = 2 (\vec v_S \times \vec \omega)[/math]
Der statische Teil besteht aus der auch im Ruhesystem festzustellenden Gravitationsfeldstärke plus den Beitrag des Zentrifugalfeldes. Der dynamische Teil ist für die Corioliskraft verantwortlich.
Zentrifugalkraft
Als Zentrifugalkraft bezeichnet man den Anteil der Gewichtskraft, der auf einem rotierenden Bezugssystem zusätzlich einzuführen ist, damit die Mechanik wie in einem Inertialsystem zu formulieren ist
[math]\vec F_Z = m (\vec \omega \times \vec r_S) \times \vec \omega)[/math]
Die ortsabhängige Zentrifugalkraft zeigt gegen das Zentrum des rotierenden Systems und nimmt linear mit dem Abstand zu.
Corioliskraft
Neben der Zentrifugalkraft muss auf dem rotierenden Bezugssystem noch eine geschwindigkeitsabhängige Corioliskraft eingeführt werden
[math]\vec F_C = m (\vec g_s = 2 (\vec v_S \times \vec \omega)[/math]
Die Corioliskraft ist proportional zur Geschwindigkeit im rotierenden System und proportional zur Winkelgeschwindigkeit des Systems. Zudem steht sie normal zu diesen beiden Grössen.
Potenzial des Zentrifugalfeldes
Das Zentrifugalfeld ist wirbelfrei. Folglich besitzt es ein Potenzial
[math]\varphi_Z = -\frac {\omega^2 r} {2}[/math]
Das Potenzial ist immer kleiner Null, weil es hier auf das Zentrum des rotierenden Systems bezogen wird.
Beispiele
rotierendes Wasserglas
Karussell
Weltraumstation
Vater-Sohn-Problematik
Die Frage, wann man eine Zentrifugalkraft einführen muss und wann nicht, kann sehr schön anhand der Vater-Sohn-Problematik dargelegt werden. Bei diesem Beispiel steht der Vater neben und sein Sohn auf einem rotierenden Karussell. Sowohl der Vater als auch der Sohn können nun als Beobachter (Subjekt) oder als Körper (Objekt) genommen werden.
Versetzen wir uns zuerst in die Situation des Vaters. Er sieht, wie sein Sohn im Abstand r von der Karussellachse auf einer Kreisbahn umläuft. Die Umlaufzeit ist durch das Karussell gegeben
[math]a = \frac {v^2} {r} = \omega^2 r = \frac {4\pi^2} {T^2} r[/math]
Die resultierende Kraft auf den Sohn, die auf die Karussellachse zu zeigt, setzt sich aus der Wirkung vom Karussell und der Gewichtskraft zusammen. Der Vater darf nun behaupten, dass die Normalkraft die Gewichtskraft kompensiert und die Haftreibung den Sohn auf eine Kreisbahn zwingt.
Der Sohn sieht seine eigene Situation ein wenig anders. Aus seiner Sicht ist er im Gleichgewicht. Der im Prinzip direkt messbaren Haftreibunskraft setzt er die auf dem Karussell linear nach aussen wachsende Zentrifugalkraft entgegen. Er erklärt also das eigene Gleichgewicht mit dem Zusammenspiel von Haftreibungs- und Zentrifugalkraft. Schwieriger wird die Sache, wenn der Sohn die Bewegung seines Vaters erklären muss. Vom Karussell aus gesehen kreist der Vater auf dem Radius R mit der Umlaufszeit des Karussells. Wohl hat die auf dem Karussell vorhandene Zentrifugalkraft die richtige Stärke, um die Zentral- oder Normalbeschleunigung des Vaters zu erklären. Leider zeigt die Zentrifugalkraft in die falsche Richtung. Erst die Corioliskraft, die in diesem Fall doppelt so stark wie die Zentrifugalkraft ist, vervollständigt die Analyse.
Radial auf den Vater einwirkenden Kräfte (positives Vorzeichen nach innen)
[math]F_{rad} = -F_Z + F_C = -m \omega^2 R + 2m v_S \omega[/math]
mit [math]v_S = \omega R[/math] folgt
[math]F_{rad} = m \omega^2 R[/math]
Für die Beschleunigung des Vaters vom Karrussel aus gesehen gilt
[math]a = \frac {v^2_S} {R} = \omega^2 R[/math]
Die radiale Kraft auf den kreisenden Vater, die sich aus der nach aussen gerichteten Zentrifugalkraft und der nach innen weisenden Corioliskraft zusammensetzt, verursacht die Beschleunigung des Vaters. Dies gilt natürlich nur für die Sicht des Sohnes.
Für den Vater gibt es keine Zentrifugalkraft. Der Sohn muss dagegen in jedem Fall eine Zentrifugalkraft einführen. Vater und Sohn können also nur miteinander diskutieren, wenn jeder die Sicht des andern auch versteht.