Impuls, Impulsstrom und Kraft
Die resultierende Kraft ist gleich Masse mal Beschleunigung. Diese Gleichung, die sowohl das Grundgesetz der Mechanik umfasst als auch die dynamische Grösse Kraft mit Hilfe der kinematischen Grösse Beschleunigung definiert, soll in dieser Vorlesung auf eine umfassendere Basis gestellt werden. Dazu gehen wir vom Impuls als Primärgrösse aus. Den Impuls kennt jedes Kind unter dem Namen Wucht oder Schwung. Der Impuls ist allgegenwärtig. Ob man mit dem Hammer einen Nagel in die Wand schlägt oder mit dem Auto einen Inselschutzpfosten rammt, ohne Impuls würde hier gar nichts passieren.
Der Impuls und damit auch die Kraft transformieren sich wie Vektoren. Um diese Schwierigkeit zu umgehen, führen wir ein erdfestes Koordinatensystem ein und diskutieren zuerst nur eine Komponente des Impulses. Wir untersuchen also nur Bewegungen längs einer Geraden. Diese eine Komponente lässt sich durchaus mit der elektrischen Ladung oder sogar mit dem Volumen einer Flüssigkeit verglichen. Je früher Sie diese bildhafte Darstellung durchschauen, desto schneller werden Sie zu den Kernaussagen der Mechanik vorstossen.
Lernziele
Phänomene
Der angestossene Gleiter einer Luftkissenbahn bewegt sich ungebremst fort, bis er auf die Feder am Ende der Bahn trifft. Dieser Endanschlag wirft den Gleiter zurück, wonach dieser bis zum andern Anschlag zurück fährt, um dann wieder in die andere Richtung geworfen zu werden. Das Spiel wiederholt sich mehrmals, bis der Schwung des Gleiters aufgebraucht ist. Den intuitiven Begriff des Schwungs gilt es nun zu schärfen. Dazu machen wir ein paar kleine Experimente
- Ein Gleiter bewegt sich mit der Geschwindigkeit 1.5 m/s auf einen ruhenden, gleich schweren Gleiter zu. Ein Klettverschluss sorgt dafür, dass die Gleiter nach dem Stoss zusammen bleiben. Die gemeinsame Geschwindigkeit der Gleiter beträgt nach dem Stoss 0.75 m/s. Weitere Experimente zeigen, dass die Geschwindigkeit bei einem Stoss mit Klettverschluss, den man inelastischen nennt, immer halbiert wird.
- Verdoppelt man die Masse des auffahrenden Gleiters, steigt die gemeinsame Geschwindigkeit auf 1 m/s an. Verdoppelt man die Masse des anfänglich ruhenden Gleiters, beträgt die Geschwindigkeit nach dem inelastischen Stoss nur noch 0.5 m/s.
- Lässt man die beiden Gleiter mit exakt entgegengesetzt gleicher Geschwindigkeit gegeneinander fahren, bleiben sie nach dem inelastischen Stoss stehen.
- Spannt man zwischen zwei Gleiter mittels zweier Fäden eine Feder, fahren die beiden Gleiter mit entgegengesetzt gleicher Geschwindigkeit auseinander, sobald die Fäden abgetrennt werden.
Impuls: Vorzeichen und Einheit
Im ersten Experiment führen wir dem Gleiter mit der Hand eine ganz bestimmte Menge Schwung oder eben Impuls zu. Danach behält der Gleiter seinen Impuls bei, bis er auf den Stosspartner trifft. Im Stoss überträgt der Gleiter die Hälfte seines Impulsinhalts auf den Partner, womit die Geschwindigkeit des ersteren halbiert wird. Verdoppelt man die Masse des auflaufenden Gleiters, behält dieser nach dem Stoss 2/3 seines Inhaltes, womit die Geschwindigkeit nur um einen Drittel von 1.5 m/s auf 1 m/s fällt. Wird die Masse des ruhenden Körpers verdoppelt, übernimmt dieser 2/3 des Impulses und die Geschwindigkeit fällt auf 0.5 m/s. Zusammenfassend können wir festhalten; dass der Impuls
- eine bilanzierfähige Erhaltungsgrösse ist
- die Bewegung eines Körpers erzwingt (ohne Impuls keine Bewegung)
- proportional mit der Geschwindigkeit wächst
- proportional zur Masse des Speicherkörpers ist
Diese Idee hatte Christiaan Huygens schon im 17. Jahrhundert. Nur wusste damals niemand eine Erklärung für die Experimente 3 und 4. Wie kann durch das Zusammenfliessen zweier Mengen Nichts entstehen, d.h. wie können sich zwei Mengen zu Null addieren? Und wie erklärt man das Wegfahren der beiden Gleiter unter der Wirkung einer Feder, die selber keinen Impuls besessen hat. Solche Vorgänge sind echt schwer zu erklären. Bei der elektrischen Ladung hat es etwa hundert Jahre gedauert, bis sich die Idee einer vorzeichenfähigen Menge durchgesetzt hat. Den Impuls hat man erst im Zusammenhang mit der Quantenmechanik, also erst 200 Jahre nach Isaac Newtons Veröffentlichungen zur Mechanik, als bilanzierfähige Grösse akzeptiert.
Zwei Autos prallen frontal gegeneinander. Während des Stosses geht der Impuls durch die Knautschzonen von einem Auto ins andere über. Weil das eine Auto einen Impulsüberschuss und das andere einen Mangel an Impuls hatte, weisen beide Fahrzeuge nach dem Stoss keinen Impuls mehr auf. Doch welches Auto hatte vorher einen Impulsüberschuss und welches einen Mangel? Diese Vorzeichenfrage lässt sich wie bei der elektrischen Ladung nur mit Hilfe eine Konvention beantworten. Diese Abmachung ist rein geometrischer Natur. Bei jeder Problemstellung muss man mit der Auszeichnung einer Richtung festlegen, wann ein Körper einen Impulsüberschuss und wann er einen Mangel aufweist:
- bewegt sich ein Körper vorwärts, besitzt er einen Impulsüberschuss
- bei einem Impulsmangel bewegt sich ein Körper rückwärts, also gegen die Bezugsrichtung
Das internationalen Einheitensystem weist dem Impuls eine kohärente Einheit zu: der Impulsinhalt eines Körpers ist gleich dem Produkt aus Masse und Geschwindigkeit
- [math]p_x=mv_x[/math]
Der Impulsinhalt (Formelzeichen p) wird über Masse (Formelzeichen m) und Geschwindigkeit (Formelzeichen v) gemessen. Für die Einheit des Impulses ergibt sich
- [math][p_x][/math] = kgm/s
Mit dieser Messvorschrift für die Primärgrösse Impuls überträgt sich die Vorzeichenkonvention auf die Geschwindigkeit. Ein Körper, der eine negative Geschwindigkeit hat, sich also gegen die positive Richtung bewegt, weist immer einen Impulsmangel auf. Dieser Sachverhalt ist analog zur Elektrizitätslehre: wir können anhand am Potential erkennen, ob ein Körper positiv oder negativ geladen ist. Vergessen Sie aber nie, dass der Impuls wie die elektrische Ladung eine Primärgrösse der Physik ist und nicht bloss das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit.
In der oben aufgeführten Formel sind sowohl der Impuls als auch die Geschwindigkeit mit x indiziert. Dieser Index weist darauf hin, dass der hier diskutierte Impuls wie auch die zugehörige Geschwindigkeit Komponenten von Vektoren sind. Der Impuls darf somit wie die Geschwindigkeit bezüglich der drei Richtungen eines erdfesten Koordinatensystems in drei Teile, Komponenten genannt, zerlegt werden. Jede dieser drei Komponenten ist wie eine eigenständige Mengen zu bilanzieren.
Flüssigkeitsbild
Wie in der Elektrizitätslehre führen wir zur Veranschaulichung das Flüssigkeitsbild ein. In der Translationsmechanik ist die Masse die kapazitive Grösse. Folglich erscheint die Masse im Flüssigkeitsbild als Grundfläche. Die Geschwindigkeit, die Potentialgrösse, wird zur Füllhöhe. Im Flüssigketsbild verwandeln sich alle Körper in zylinderförmige Gefässe, die in einem riesigen See, welche die Erde darstellt, stehen. Fährt ein Körper rückwärts, sinkt sein Pegel unter den Spiegel der Erde.
Der "Füllstand" eines Körpers wird durch die Geschwindigkeit angezeigt. Zeichnet man den zeitlichen Verlauf des Füllstandes auf, erhält man das Geschwindigkeits-Zeit-Diagramm. Das v-t-Diagramm hat zwei Seiten: die dynamische gibt den Füllzustand an Impuls an und die kinematische beschreibt die Bewegung des Körpers. Den Zusammenhang zwischen Bewegung, Geschwindigkeit und Flüssigkeitsbild sollten Sie sich gut einprägen. Zudem erleichtern das Geschwindigkeits-Zeit-Diagramm und das Flüssigkeitbild den Zugang zur Translationsmechanik ungemein.
Beispiele:
Stösse
Luftkissenfahrzeuge sind entweder mit einem Klettverschluss oder mit kurzen, harten Federn bestückt. Prallen die Fahrzeuge mit dem Klettverschluss aufeinander, kleben sie nachher zusammen. Der Stoss erfolgt inelastisch. Prallen die Fahrzeuge mit den Federn aufeinander, erfolgt der Stoss elastisch. Reale Stösse, wie der Aufprall eines Güterwagens gegen einen zweiten, verlaufen in der Regel teilelastisch. Das Bild zeigt das Flüssigkeitsbild eines solchen Rangierstosses.
Im Flüssigkeitsbild ist die Stossdynamik einfach nachzubilden. Dazu verbindet man die beiden zylindrischen Gefässe, welche die Fahrzeuge darstellen, zu einem U-Rohr. Beim inelastischen Stoss gleichen sich die beiden Niveaus an. Im elastischen Fall überschwingt die Flüssigkeitssäule. Ein realer Stoss ist teilelastisch. Der Stoss liegt dann zwischen dem inelastischen (kein Überschwingen) und dem vollelastischen Grenzfall (Auslenkung am Schluss gegengleich zu Auslenkung am Anfang).
Animationen:
- inelastischer Stoss: Geschwindigkeiten gleichen sich an
- elastischer Stoss: Impuls überschwingt
Inelastische und vollelastische Stösse sind mit Hilfe des Flüssigkeitsbild recht einfach zu durchschauen. Die realen Stösse, die zwischen diesen beiden Vorgängen liegen, geben etwas mehr her. Dazu ein
Beispiel
Ein Luftkissenfahrzeug (Masse 600 g) prallt mit 2 m/s gegen ein zweites (Masse 400 g), das ihm mit -1 m/s entgegen fährt. Nach dem Stoss steht das schwere Fahrzeug still.
- Wie schnell bewegen sich die Luftkissenfahrzeug in dem Moment, in dem sie gleich schnell sind?
- Wie schnell bewegt sich das leichte Luftkissenfahrzeug nach dem Stoss?
- Wie gross sind die Endgeschwindigkeiten der Fahrzeuge, wenn das schwerere mit 3 m/s gegen das leichte prallt, das vorher in Ruhe gewesen ist?
Lösung
Auch bei dieser Aufgabe leistet das Flüssigkeitsbild gut Dienste.
- Der Gesamtimpuls von 0.8 kgm/s (0.6 kg mal 2 m/s plus 0.4 kg mal -1 m/s) wird zuerst gleichmässig auf beide Systeme (Gesamtmasse 1 kg) verteilt, was eine gemeinsame Geschwindigkeit von 0.8 m/s ergibt.
- In der zweiten Phase gibt das schwere Fahrzeug nochmals 0.48 kgm/s (0.6 kg mal 0.8 m/s) Impuls an das leichte ab. Dieser zusätzliche Impulsübertrag erhöht die Geschwindigkeit des leichten Fahrzeugs um nochmals 1.2 m/s. Folglich bewegt sich dieses mit 2 m/s weiter.
- Die Relativgeschwindigkeit ist beim zweiten Aufprall gleich wie beim ersten. Nur sind im zweiten Prozess alle Geschwindigkeiten um 1 m/s grösser als im ersten. Folglich werden sich beide Fahrzeuge nach dem zweiten Stoss auch 1 m/s schneller als nach dem ersten Bewegen. Das schwere Fahrzeug bewegt sich demnach mit 1 m/s und das leichte mit 3 m/s weiter.
Impulsstrom
Eine Rangierlok zieht mehrere Wagen weg, bremst ab, fährt zurück und steht dann wieder still (Animation). Aus dem Flüssigkeitsbild können wir die Geschwindigkeit und den Impulsinhalt der Wagen entnehmen:
- vorwärts anfahren: Lok pumpt Impuls aus der Erde in den Zug hinein
- vorwärts bremsen: Impuls fliesst unter Abgabe von Energie vom Zug über die Lok an die Erde weg
- rückwärts anfahren: Impuls wird von der Lok aus dem Zug an die Erde weg gepumpt
- rückwärts bremsen: Impuls fliesst unter Abgabe von Energie aus der Erde in den Zug hinein
Wenden wir uns nun den Zug- und Stoss-Vorrichtungen zu
- vorwärts anfahren: Impuls fliesst durch den Zug nach hinten und die Schraubenkupplungen stehen unter Zug
- vorwärts bremsen: Impuls fliesst durch den Zug nach vorn und die Puffer werden zusammengedrückt
- rückwärts anfahren: Impuls fliesst durch den Zug nach vorn und die Puffer werden zusammengedrückt
- rückwärts bremsen: Impuls fliesst durch den Zug nach hinten und die Schraubenkupplungen stehen unter Zug
Damit haben wir eine allgemeingültige Regel bezüglich der Impulsströme gefunden
- In einer unter Zug stehenden Feder fliesst der Impuls gegen die Bezugsrichtung (rückwärts) und in einer unter Druck stehenden Feder strömt der Impuls in Bezugsrichtung (vorwärts)
Gemäss dieser Regel fliesst in einer Schraubverbindung der Impuls im Kreis herum. Dabei strömt der Impuls im unter Zug Bolzen rückwärts und in den zusammengepressten Teilen vorwärts. Der Ingenieur nennt diese Impulsströme Kraftflüsse. Unsere ganze Umwelt ist durchsetzt von solchen Kraftflüssen.
Impulsströme können mit skalierten Federn, so genannten Federwaagen, gemessen werden. Die Einheit der Impulsstromstärke ist Newton (N). Die Einheit des Impulses ist demnach gleich Newtonsekunde. Damit gilt:
- [p] = kgm/s = Ns oder 1 N = 1 kgm/s2
In der Elektrizitätslehre wird der Strom in Ampère und die Ladung in Ampèresekunden gemessen. Leider hat man in der Mechanik für die Einheit des Impulses noch keine eigene Einheit analog zu Coulomb eingeführt.
Kraft
Eine Kraft ist eine Impulsstromstärke bezüglich eines Körpers. Ein Impulsstrom ist ein reales Transportphänomen, die Kraft ist nur eine Messgrösse bezüglich eines ausgewählten Systems. Prallen zum Beispiel zwei Güterwagen zusammen, fliesst der Impuls vom Wagen mit der anfänglich grösseren Geschwindigkeit (Hammerwagen) in den andern (Amboswagen) über. Dieser Impulsstrom kann nun bezüglich des Hammerwagens oder des Ambosswagens gemessen werden. Diese beiden Stromstärken werden als entgegen gesetzt gleiche Kraftpfeile dargestellt. Dabei gilt die folgende Rege:
- Ein zufliessender Impulsstrom wird mit einem in positive Richtung weisenden Kraftpfeil dargestellt.
zwei Güterwagen
Ein Güterwagen prallt gegen einen zweiten. Die eingedrückten Puffer zeigen den vorwärts fliessenden Impulsstrom an.