Kreisbewegung

Aus SystemPhysik

Ein Körper, der sich auf einer Kreisbahn bewegt, muss mit der Umgebung andauernd Impuls austauschen. Die Impulsänderungsrate heisst auch resultierende Kraft auf den Körper. Die Normalkomponente dieser resultierenden Kraft zeigt gegen die Kreismitte. Die Normalkomonente der resultierenden Kraft ändert die Bewegungsrichtung, die Tangentialkomponente die Schnelligkeit des Körpers.

Die Kreisbewegung gibt Anlass zu mehreren Missverständnissen:

  • Weil nur die Tangentialkomponente der Kraft eine Leistung besitzt, spricht man in der Umgangssprache bei der gleichmässigen Kreisbewegung von einem unbeschleunigten Vorgang.
  • Die gegen die Kreismitte weisende Beschleunigung wird oft nach aussen gedreht und als zentrifugal bezeichnet. Diese Betrachtungsweise bezieht sich auf einen rotierenden Beobachter. In einem rotierenden System herrscht ein Zentrifugalfeld. Die zugehörige Feldstärke gzf ist an jedem Punkt entgegengesetzt gleich gross wie die Beschleunigung an, die ein aussenstehender Beobachter diesem Punkt des rotierenden Systems zuschreiben würde.

Geometrie

kartesische und Polarkoordinaten bei Kreisbewegung

Die Bewegung eines Körpers auf einer Kreisbahn beschreibt man am einfachsten mittels den Polarkoordinaten r und φ. Polarkoordinaten lassen sich mit Hilfe von trigonometrischen Funktionen in kartesische Korrdinaten umrechnen

[math]\begin{pmatrix} x \\ y \end{pmatrix} = r \begin{pmatrix} \cos \varphi \\ \sin \varphi \end{pmatrix}[/math]

Bei der Kreisbewegung ist r ein Parameter und φ eine Funktion der Zeit. Die Ableitung des Ortsvektors nach der Zeit liefert den Geschwindigkeitsvektor des kreisenden Referenzpunktes

[math]\begin{pmatrix} \dot x \\ \dot y \end{pmatrix} = r \begin{pmatrix} -\sin \varphi \\ \cos \varphi \end{pmatrix} \dot \varphi[/math] oder [math]\begin{pmatrix} v_x \\ v_y \end{pmatrix} = r \omega \begin{pmatrix} -\sin \varphi \\ \cos \varphi \end{pmatrix} = v \begin{pmatrix} -\sin \varphi \\ \cos \varphi \end{pmatrix}[/math]

Der Geschwindigkeitsvektor steht normal zum Radius. Sein Betrag ist gleich dem Produkt aus dem Betrag des Radius und der Winkelgeschwindigkeit.

Impulsbilanz

Das Kapazitivgesetz liefert bei gegebener Geschwindigkeit des Massenmittelpunktes den Impulsinhalt des Körpers

[math]\begin{pmatrix} p_x \\ p_y \end{pmatrix} = p \begin{pmatrix} -\sin \varphi \\ \cos \varphi \end{pmatrix}[/math]

Für den Betrag des Impulsvektors gilt: p = m v = m ω r

Die Impulsänderungsrate erhält man durch nochmaliges Ableiten nach der Zeit

[math]\begin{pmatrix} \dot p_x \\ \dot p_y \end{pmatrix} = \dot p \begin{pmatrix} -\sin \varphi \\ \cos \varphi \end{pmatrix} + p \begin{pmatrix} -\cos \varphi \\ -\sin \varphi \end{pmatrix} \dot \varphi = \dot p \begin{pmatrix} -\sin \varphi \\ \cos \varphi \end{pmatrix} + \omega p \begin{pmatrix} -\cos \varphi \\ -\sin \varphi \end{pmatrix}[/math]

Der erste Term beschreibt die Änderungsrate des Impulsbetrages, der zweite Term die durch die Kreisbahn erzwungene Schwenkbewegung des Impulsvektors. Die Impulsbilanz setzt nun die Impulsänderungsrate gleich der Summe über alle Impulsstrom- und -quellenstärke. In der Punktmechanik sagt man dieser Summe resultierende Kraft und schreibt die Gleichung oft koordinatenunabhängig hin

[math]\vec F_{res} = \dot p \frac {\vec p} {p} + \vec \omega \times \vec p[/math]

Mit p ist der Betrag des Impulsvektors gemeint. Dass die Winkelgeschwindigkeit als Vektor geschrieben werden darf, ist mathematisch nicht einfach zu begründen. Dieser Vektor steht nach der Rechten-Hand-Regel normal zur Kreisbahnebene. Die Rechte-Hand-Regel besagt hier, dass der Daumen der rechten Hand die Richtung der Winkelgeschwindgigkeit anzeigt, wenn die Finger im Drehsinn auf den Kreis gelegt werden.

Falls die Winkelgeschwindigkeit konstant ist, also bei einer gleichförmigen Kreisbewegung, entfällt der erste Term

[math]\vec F_{res} = \vec \omega \times \vec p = -\omega p \frac {\vec r} {r}[/math]

Bei der gleichmässigen Kreisbewegung zeigt der Vektor der resultierenden Kraft gegen das Kreiszentrum und sein Betrag ist gleich dem Produkt aus Winkelgeschwindigkeit und Impulsinhalt des Körpers.

Beispiele

  • Körper bewegt sich an einem Seil festgebunden auf Glatteis im Kreis: Seilkraft ist resultierende Kraft
  • Auto durchfährt mit konstanter Tachoanzeige eine Kurve: resultierende Kraft setzt sich aus Luftwiderstand und Haftreibung zusammen
  • Flugzeug kreist über dem Rheinfall: resultierende Kraft setzt sich aus Kraft der Luft (Auftrieb und Widerstand) und der Gewichtskraft zusammen
  • Geostationärer Satellit kreist um die Erde: resultierende Kraft ist die Gewichts- oder Gravitationskraft (ein antriebsloser Satellit fällt gegen die Erde, verfehlt aber infolge seiner hohen Geschwindigkeit die Erdoberfläche)

Energiebetrachtung

Wird die Kreisbewegung durch einen einzigen Impulsstrom, eine einzige Kraft, verursacht, kann der zugeordnete Energiestrom durch das Skalarprodukt aus Geschwindigkeit und Impulsänderungsrate ausgedrückt werden (in diesem Fall ist die Impulsänderungsrate gleich gross wie die Impulsstromstärke)

[math]I_W = v_x \dot p_x + v_y \dot p_y + v_z \dot p_z = v \dot p [\sin^2 \varphi + \cos^2 \varphi] + v \omega p [\sin \varphi \cos \varphi - \cos \varphi \sin \varphi] = v \dot p[/math]

Der zugeordnete Energiestrom ist gleich dem Produkt der Schnelligkeit (Betrag der Geschwindigkeit) mal die Änderungsrate des Impulsbetrages. Der Energiestrom verschwindet bei einer gleichmässigen Kreisbewegung. Sobald mehrere Impulsströme im Spiel sind (kreisendes Flugzeug, Kurvenfahrt eines Schnellzuges) verschwindet nur die Summe über alle Energieströme, nicht aber die den einzelnen Impulsströmen zugeordneten Energieströme.

Setzt man den resultierenden Energiestrom in die Energiebilanz ein, bekommt man die Änderungsrate der kinetischen Energie

[math]I_W = \dot W_{kin}^2 = \frac {m}{2}(v^2\dot) = m v \dot v = v \dot p[/math]

Die Energiebilanz folgt somit - wie in der ganzen Mechanik der homogenen Systeme - direkt aus der Impulsbilanz.

Ein Körper, der auf einer Kreisbahn gehalten wird, tauscht dauernd Impuls mit der Umgebung aus. Aber nur wenn sich der Betrag des Impulsinhaltes ändert, nimmt auch die kinetische Energie zu oder ab.

Punktmechanik

Normal- und Tangentialbeschleunigung bei einer Kreisbewegung

In der Modellstruktur der Punktmechanik untersucht man die Bewegung von punkförmigen Körpern unter der Wirkung von Zentralkräften (Wechselwirkungspaare zwischen den einzelnen Punkten). Bei der Kreisbewegung beschränkt man sich auf einen einzigen Körper, der unter der Wirkung von Kräften einer vorgegebenen Kreisbahn folgt. Die resultierende Kraft ist dann gemäss dem Aktionsprinzip von Newton über die Beschleunigung definiert.

Die Beschleunigung bei Kreisbewegungen erhält man durch nochmaliges Ableiten der Geschwindigkeit nach der Zeit

[math]\begin{pmatrix} \dot v_x \\ \dot v_y \end{pmatrix} = \dot v \begin{pmatrix} -\sin \varphi \\ \cos \varphi \end{pmatrix} + v \begin{pmatrix} -\cos \varphi \\ -\sin \varphi \end{pmatrix} \dot \varphi = a_t \begin{pmatrix} -\sin \varphi \\ \cos \varphi \end{pmatrix} + a_n \begin{pmatrix} -\cos \varphi \\ -\sin \varphi \end{pmatrix}[/math]

Die Beschleunigung zerfällt in einen Anteil, der in Bewegungsrichtung zeigt (at = dv/dt), und einen Anteil, der normal zur Bewegungsrichtung steht, also zur Kreismitte gerichtet ist (an = v ω = r ω2 = v2 / r ). Im Alltag wird nur die Tangentialbeschleunigung at als Beschleunigung (Betrag der Geschwindigkeit nimmt zu) oder als Verzögerung (Betrag der Geschwindigkeit nimmt ab) wahrgenommen. Die Normalbeschleunigung wird nicht als solche wahrgenommen.

Die Dynamik der Kreisbewegung solle nach mehr als zweihundert Jahren Newtonscher Mechanik eigentlich keine ernsthaften Probleme mehr aufwerfen. Nun haben Untersuchungen gezeigt, dass die Mehrheit von Physik Studierenden bei der Kreisfahrt eines Autos weder in der Lage ist, Kräfte korrekt einzuzeichnen, noch die Richtung der Beschleunigung einigermassen richtig angeben kann [JUNG, W., WIESNER, H.: Verständnisschwierigkeiten beim physikalischen Kraftbegriff. Eine Untersuchung zum Kraftbegriff bei Physikstudenten. In: Physik und Didaktik 2/1981, S. 111-122]. Was erzählen wohl diese Probanden, von denen viele als Physiklehrer tätig sein dürften, heute ihren Schülerinnen und Schülern?