Stossende Kugeln
Lässt man eine gehärtete Stahlkugel auf eine Führungsschiene rollend gegen eine zweite prallen, bewegen sich beide Kugeln danach mit unterschiedlicher Geschwindigkeit weiter. Wählt man die Spurbreite der Führungsschiene genügend gross, kommt es zu Mehrfachstössen.
Einfache Analyse
Eine rollende Kugel speichert Impuls und Drehimpuls, wobei die beiden Mengen durch die Rollbedingung miteinander verbknüpft sind. Nun zerlegen wir den Bewegungsablauf in die drei Phasen Rollen, Stossen und Rutschen. Beim Rollen sollen sich weder der Impuls- noch der Drehimpulsinhalt ändern. In der Stossphase wird nur Impuls übertragen und keine Energie dissipiert. In der nachfolgenden Rutschphase wirkt die Gleitreibungskraft so lange auf die Kugel ein, bis die Rollbedingung wieder erfüllt ist.
Eine rollende Kugel stosse gegen eine ruhende. Während des zentralen, elastischen Stosses wird Impuls aber kein Drehimpuls übertragen. Danach bleibt die erste Kugel stehen und die zweite bewegt sich mit der Geschwindigkeit der ersten weiter. Weil beim Stoss kein Drehimpuls übertragen worden ist, dreht sich die erste Kugel unbeirrt weiter und die zweite rotiert noch gar nicht. Der nachfolgende Rutschprozess ist anhand der Bowlingkugel schon anderweitig beschrieben worden. Die rotierende, aber nun ruhende Kugel nimmt vom Boden her Impuls auf (Gleitreibungskraft), verliert aber gleichzeitig durch das seitwärts Fliessen dieses Impulses Drehimpuls (Hebelgesetz). Die zweite Kugel gibt Impuls an den Boden ab und nimmt über diese Hebelwirkung Drehimpuls auf. Die Rutschphasen sind beendet, sobald für beide Kugeln die Rollbedingung wieder erfüllt ist.
Zeichnet man für beide Kugeln je zwei Flüssigkeitsbilder (eines für den Impuls und eines für den Drehimpuls), ergeben sich Hebelgesetz und Rollbedingung die beiden Bedingungen
- Kugel 1: [math]\frac{-\Delta L}{\Delta p}=\frac{J(\omega_{1a}-\omega_{1e})}{mv_{1e}}=\frac{\frac{J}{r}(v_a-v_{1e})}{mv_{1e}}=r[/math]
- Kugel 2: [math]\frac{\Delta L}{-\Delta p}=\frac{J\omega_{2e}}{m(v_a-v_{2e})}=\frac{J}{mr}\frac{v_{2e}}{v_a-v_{2e}}=r[/math]
Mit [math]v_a[/math] ist hier die Geschwindigkeit der ersten Kugel vor und die der zweiten unmittelbar nach dem vollelastischen Stoss gemeint, r ist der Abrollradius. Formuliert man das Massenträgheitsmoment der Kugel mit Hilfe der Masse und dem Kugelradius R, erhält man für die beiden Endgeschwindigkeiten
- Kugel 1: [math]v_{1e}=v_a\frac{k}{1+k}[/math]
- Kugel 2: [math]v_{2e}=v_a\frac{1}{1+k}[/math]
- mit [math]k=\frac{2R^2}{5r^2}[/math]
In dieser stark idealisierten Betrachtung ist die Summe der beiden Endgeschwindigkeiten gleich der Anfangsgeschwindigkeit der ersten Kugel. Setzt man den Abrollradius gleich dem Radius der Kugel, bewegt sich die erste Kugel nach dem Stoss mit 28.6% (2/7) der Anfangsgeschwindigkeit weiter und die Geschwindigkeit der zweiten erhöht sich auf 71.4%. Sollten sich die beiden Kugeln nach dem Stoss mit der gleicher Geschwindigkeit bewegen, muss k gleich eins sein. Dies ergibt einen Abrollradius von 63.3% (Wurzel aus 2/5) des Kugelradius. Ein Experiment würde für diese Wahl der Parameter ein anderes Resultat zeigen, da die Reibung zwischen den Kugeln unberücksichtigt geblieben ist.
Schnittbild
Zur weiteren Analyse des Problems erstellen wir das Schnittbild der auflaufenden Kugel während der Stossphase. Obwohl der Stossprozess hochdynamisch ist und der Impuls mit Schallgeschwindigkeit übertragen wird, betrachten wir die Kugeln weiterhin als starre Körper. Neben dem Gravitationsfeld wirken noch die Schiene und die zweite Kugel auf die erste Kugel ein. Die Einwirkung der zweiten Kugel und der Unterlage wird je in eine Normalkraft und eine Gleitreibungskraft zerlegt. Die drei Bilanzgleichungen lauten dann
- [math]F_{R1}-F_N=\dot p[/math]
- [math]F_{G1}-F_{N1}-F_{R}=0[/math]
- [math]-F_RR-F_{R1}r=\dot L[/math]
Die Reibkraft hängt über einen empirisch zu bestimmenden Koeffizienten direkt mit der Normalkraft zusammen (Coulomb-Reibung)
- [math]F_{R1}=\mu F_{N1}sgn(v_1-\omega_1 r)[/math]
- [math]F_R=\mu_SF_Nsgn(\omega_1+\omega_2)[/math]
Die Bezeichnung sgn für Signumfunktion ist nicht ganz korrekt, weil der Übergang von Gleit- zu Haftreibung eine Strukturänderung von aufgeprägter Kraft zu einer geometrischen Bedingung bewirkt.
systemdynamisches Modell
Die Reibungskräfte werden wie gewohnt mit dem Tangenshyperbolicus modelliert. Die Bilder zeigen das Systemdiagramm, das Geschwindigkeits-Zeit-Diagramm und den zeitlichen Verlauf der Reibkräfte für die Parameter
- Kugelradius R = 2 cm
- Abrollradius r = 0.5 cm
- Gleitreibungszahl μ = 0.2 (Kugel-Unterlage und Kugel-Kugel)
- Federkonstante D = 100 kN/m (Stosszone)