Laplacescher Dämon
Pierre-Simon Laplace (1749 -1827) hat mit der von ihm entwickelten Störungsrechnung gezeigt, dass das Sonnensystem auch unter der periodisch sich ändernden Gravitationswirkung von Jupiter und Saturn stabil bleibt und dass Gott nicht immrt wieder - wie von Newton noch postuliert - für Ordnung sorgen muss (bei einem Vortrag über die Himmelsmechanik soll Laplace auf die Frage Napoleons nach der Einflussnahme des Schöpfers geantwortet haben: "Sire, diese Hypothese benötige ich nicht.") Gemäss Laplace ist die Zukunft unseres Sonnensystems durch die einmal gewählten Anfangsbedingungen eindeutig bestimmt, d.h. die Gesetze der Himmelsmechanik bilden den einmal gewählten Anfangszustand (Ort und Geschwindigkeit aller Körper des Sonnensystems) auf jeden zukünftigen Zustand ab.
Funktion des Dämons
Nimmt man nun an, dass das Universium als Ganzes analog zum Sonnensystem durch einen Satz von Differentialgleichungen beschrieben wird, ist jeder zukünftige Zustand durch den momentanen Zustand eindeutig festgelegt: die Gesetze der Physik bilden den heutigen Zustand des Universums vollständig auf jeden zukünftigen ab. Somit ist im abgeschlossenes System Universum die Zukunft heute schon festgelegt (determiniert) Der Laplacesche Dämon ist nun ein rein geistiges Wesen, das die Gesetze und den momentanen Zustand des Universums exakt kennt. Folglich kann dieser Dämon den Zustand des Universum zu jedem späteren Zeitpunkt berechnen: der Laplacesche Dämon kennt heute schon die ganze Zukunft.
Erkenntnistheorie
Geist und Materie
Nachhaltigen Einfluss auf unsere Auffassung des Verhältnisses Geist und Materie hatte die Lehre des französischen Philosophen René Descartes (1596-1650). Ihr zufolge ist die Seele ein nicht räumliches Wesen, das in einem bestimmten Punkt des Gehirns mit dem Körper in Verbindung tritt. Diese Trennung zwischen der materiellen Natur und dem immatriellen Geist, die auch den meisten Religionen zu grunde liegt, hat die Entwicklung der Mechanik wesentlich geprägt. Die Mechanik bestimmt die Bewegung aller Körper in einem sich passiv verhaltenen Raum, wobei Gott und der beseelte Mensch diese Bewegungsabläufe beobachten, analysieren und in ihrem Geist speichern können. Gemäss dieser Auffassung können Erkenntnisse über den Zustand eines Systems gewonnen werden, ohne dass dieses gestört wird. Information kann demnach energiefrei übertragen und gespeichert werden.
Uhrwerk
Das Universum, so schrieb der englische Chemiker Robert Boyle im 17. Jahrhundert, »gleicht einer seltenen Uhr, etwa der des Straßburger Münsters«. Die Uhr - oder etwas konkreter das Uhrwerk - ist zu einer Metapher für die auf Laplace zurückgehende Auffassung des deterministischen Universums geworden. Gott hat das Universum mit all ihren Gesetzen so geschaffen, wie ein Uhrmacher die perfekte Uhr bauen würde. Einmal erschaffen und in den richtigen Anfangszustand gebracht läuft das Universum unerbittlich nach dem Wille der göttlichen Vorsehung ab.
Willensfreiheit
Wo Gottes Wille so uneingeschränkt waltet wie im deterministischen Universum hat der Mensch gar nichts mehr zu wollen. Jede Entscheidung, die er triftt, und jedes Urteil, das er fällt, basiert auf der weltlichen Erfahrung und ist somit Teil des universellen Plan Gottes. Der Mensch als Rädchen im umfassenden und perfekten Uhrwerk Gottes dreht sich exakt nach dem Willen seines Schöpfers. In einer dermassen deterministischen Welt gibt es keinen Platz mehr für einen freien Willen oder eine individuelle Verantwortung.
Einwände
klassische Mechanik
Das punktmechanischen Sonnensystem von Laplace wird durch einen Satz von Differentialgleichungen zweiter Ordnung bestimmt: die Beschleunigung eines jeden Körpers ist gleich der dort herrschenden Gravitationsfeldstärke, wobei diese Feldstärke von allen andern Körpern gemäss des Newtonschen Gravitationsgesetzes aufgebaut wird. Die Beschleunigung des Körpers i ist demnach gleich
- [math]\ddot {\vec s_i} = \vec g_i = G \sum_j \frac {m_j}{s_{ij}^3}\vec s_{ij}[/math]
Könnte man dieses System für eine feste Zahl n von Körpern geschlossen lösen, würden 6n skalare Anfangsbedingungen (für jeden Körper je drei Orts- und drei Geschwindigkeitskomponenten) die zeitliche Entwicklung des Systems vollständig festlegen. Weil diese 6n skalaren Anfangsbedingungen aus je einer Verhältniszahl und einer Einheit bestehen, ist der Informationsgehalt jeder einzelner Anfangsbedingung (überabzählbar) unendlich gross und muss durch einen beliebig aufwendigen Messprozess möglichst genau eingegrenzt werden. Wohl legen die Anfangsbedingung die Zukunft fest eindeutig fest, doch müssen diese vorher durch einen iterativ geführten Messprozess bestimmt und als unendlich lagen Folge von Ziffern in einem beliebig grossen Speicher abgelegt werden. Je genauer die Anfangsbedingungen bekannt sind, desto weiter kann man in die Zukunft sehen.
Chaos