Massenträgheitsmoment

Das Massenträgheitsmoment, engl. Momentum of Inertia (MOI), auch nurTrägheitsmoment oder Inertialmoment genannt, beschreibt die Kapazität eines starren Körpers bezüglich der bilanzierbaren Menge Drehimpuls. Das Trägheitsmoment entspricht der trägen Masse der Translationsmechanik und wird deswegen in der älteren Literatur auch Drehmasse genannt. Das Trägheitsmoment eines Körpers hängt von seiner Form, der Massenverteilung und bei einem Rotator zusätzlich noch von der Lage der Drehachse ab. Weil der Drehimpuls und die Winkelgeschwindigkeit eines starren Körpers nicht gleich gerichtet sein müssen, reicht zur vollständigen Beschreibung von dessen Trägheitsverhalten eine einzelne Zahl nicht aus: der Zusammenhang zwischen Drehimpuls und Winkelgeschwindigkeit wird durch den Trägheitstensor beschrieben. Als Formelzeichen für das Trägheitsmoment verwenden wir [math]J[/math], die SI-Einheit ist kg m2.


Phänomene

Das Massenträgheitsmoment beschreibt das kapazitive Verhalten eines rotierenden Körpers. Dreht sich dieser um eine Hauptachse, nimmt der Drehimpuls linear mit der Winkelgeschwindigkeit zu

[math]L = J\omega[/math]

Das Verhältnis zwischen Drehimpulszuwachs und Winkelgeschwindigkeitsänderung entspricht direkt dem Massenträgheitsmoment. Lässt man nun über eine bestimmte Zeit ein Drehmoment auf verschiedene zylinderförmige Schwungräder einwirken, führt man also den Schwungrädern eine wohl definierte Menge Drehimpuls zu, stellt man fest, dass die Winkelgeschwindigkeit um so weniger ansteigt, je schwerer das Schwungrad und je grösser der Durchmesser ist. Durch die Zufuhr einer bestimmten Menge Drehimpuls steigt die Winkelgeschwindigkeit umgekehrt proportional zur Masse und umgekehrt proportional zum Quadrat des Radius der Schwungräder.

Pirouette

Berechnung von Trägheitsmomenten aus der Massenverteilung

Für einzelne Massenpunkte berechnet sich das Trägheitsmoment mit der Summe:

[math]J = \sum_i m_i r_i^2[/math]

mit [math]m_i[/math] für die Masse und [math]r_i[/math] für den senkrechten Abstand des [math]i[/math]-ten Teilchens von der Drehachse. Ist die Drehachse die [math]x[/math]-Achse, so lautet das zugehörige Trägheitsmoment

[math]J_x = \sum_i m_i (y_i^2 + z_i^2)[/math]

und nach dem Übergang zum Integral mit dem Volumen [math]V[/math] des aus den Massenpunkten zusammengesetzten Körpers:

[math]J = \int_V r^2\rho(\vec r)\mathrm{d}V[/math]

[math]\rho(\vec r)[/math] ist die vom Ortsvektor abhängige Dichte.

Bei einer homogenen Masseverteilung ist die Dichte konstant und die Rechnung vereinfacht sich zu : [math]J=\rho \int_{V} r^2 \, \mathrm{d}V[/math] Weiter unten ist eine Beispielrechnung angegeben.

Das Trägheitsmoment rotationssymmetrischer Körper, die um ihre Symmetrieachse (z-Achse) rotieren, kann einfach mit Hilfe von Zylinderkoordinaten berechnet werden. Dazu muss entweder die Höhe als Funktion des Radius ([math]h=h(r)[/math]) oder der Radius als Funktion der z-Koordinate ([math]r=r(z)[/math]) bekannt sein. Das Volumenelement in Zylinderkoordinaten ergibt sich zu [math]\mathrm{d}V=r \,\mathrm{d}r\, \mathrm{d}\varphi \, \mathrm{d}z[/math]. Die Integrationen über [math]\varphi[/math] und [math]z[/math] bzw. über [math]\varphi[/math] und [math]r[/math] sind leicht auszuführen und man erhält:

[math]J = 2\pi \rho \int r^3 \, h(r) \, \mathrm{d}r[/math]    bzw.   [math]J = \frac{1}{2} \pi \rho \int r(z)^4 \, \mathrm{d}z[/math]

Trägheitsmoment bezüglich zueinander parallelen Achsen

Datei:Steiner Regel.svg
Illustration der Steiner-Regel. Drehachse 1 geht durch den Schwerpunkt des Körpers der Masse m. Drehachse 2 ist um den Abstand d verschoben.

Ist das Trägheitsmoment [math]J_\mathrm{S}[/math] für eine Achse durch den Schwerpunkt eines Körpers bekannt, so kann mit Hilfe des Satz von Steiner das Trägheitsmoment [math]J_\mathrm{P}[/math] für eine beliebige parallel verschobene Drehachse berechnet werden. Die Formel lautet:

[math]\left.J_\mathrm{P}=J_\mathrm{S}+md^2\right.[/math]

Dabei gibt [math]d[/math] den Abstand der Achse durch den Schwerpunkt zur parallel verschobenen Drehachse an.

Man kann die Steiner-Regel für zwei beliebige parallele Drehachsen verallgemeinern. Dazu muss die Steiner-Regel zweimal hintereinander angewendet werden: Zunächst verschiebe man die Drehachse so, dass sie durch den Schwerpunkt des Körpers geht, danach auf den gewünschten Zielort.

[math]J_\mathrm{neu} = J_\mathrm{alt} + m \left(d_\mathrm{neu}^2 - d_\mathrm{alt}^2\right)[/math]

Trägheitstensor

Der Trägheitstensor [math]I_{xy}[/math] eines Körpers ist eine Verallgemeinerung des Trägheitsmomentes. In einem kartesischen Koordinatensystem lässt sich der Trägheitstensor als Matrix darstellen, die sich aus den Trägheitsmomenten bezüglich der drei Koordinatenachsen und den Deviationsmomenten zusammengesetzt. Die drei Trägheitsmomente bilden die Diagonale der Matrix, die Deviationsmomente sind die die Nebendiagonalelemente. Mit Hilfe des Trägheitstensor lässt sich z.B. das Trägheitsmoment bezüglich einer beliebigen, durch den Schwerpunkt gehenden Achse berechnen. Wenn ein starrer Körper um eine solche Achse mit der Winkelgeschwindigkeit [math]\vec \omega[/math] rotiert, so ergibt sich das Trägheitsmoment zu

[math]J=\frac{1}{\omega^2}\sum_{i=1}^3\sum_{j=1}^3 I_{ij} \; \omega_i \; \omega_j[/math]

oder in Matrixschreibweise

[math]J=\frac{1}{\omega^2}\,\vec\omega^T\cdot I \cdot\vec\omega[/math]

Drehung des Koordinatensystems

Eine Achse in beliebiger Raumrichtung wird beschrieben durch den Einheitsvektor [math]\vec e [/math]. Man kann diesen z.B. dadurch erhalten, dass man den Einheitsvektor in z-Richtung mittels einer Drehmatrix R dreht:   [math]\vec e = R \cdot \left(\begin{matrix}0\\0\\1\end{matrix}\right)[/math]

Mit    [math] R = \left(\begin{matrix} \cos\varphi \cdot \cos\vartheta & -\sin\varphi & \cos\varphi \cdot \sin\vartheta \\ \sin\varphi \cdot \cos\vartheta & \cos\varphi & \sin\varphi \cdot \sin\vartheta \\ -\sin\vartheta & 0 & \cos\vartheta\ \end{matrix}\right)[/math]    erhält man    [math]\vec e = \left(\begin{matrix}\cos\varphi \cdot \sin\vartheta\\ \sin\varphi \cdot \sin\vartheta\\ \cos\vartheta\end{matrix}\right)[/math]

Mit Hilfe dieser Drehmatrix kann nun der Trägheitstensor in ein Koordinatensystem transformiert werden, in dem die z-Achse in Richtung der Rotationsachse zeigt:

[math]I' = R^T \cdot I \cdot R[/math]

Das Trägheitsmoment für die neue z-Achse ist jetzt einfach das 3. Diagonalelement des Tensors in der neuen Darstellung. Nach Ausführung der Matrizenmultiplikation und trigonometrischen Umformungen ergibt sich

[math] J = (I_{xx} \cos^2\varphi + I_{yy}\sin^2\varphi + I_{xy}\sin2\varphi)\sin^2\vartheta + I_{zz}\cos^2\vartheta + (I_{yz}\sin\varphi + I_{zx}\cos\varphi)\sin2\vartheta [/math]

Rotationssymmetrischer Körper

Wir betrachten als Beispiel dazu den Trägheitstensor eines rotationssymmetrischen Körpers. Wenn eine der Koordinatenachsen (hier die z-Achse) mit der Symmetrieachse zusammenfällt, dann ist dieser Tensor diagonal. Die Trägheitsmomente für Rotation um die x-Achse und die y-Achse sind gleich ([math]I_{xx}=I_{yy}=J_1[/math]). Für die z-Achse kann das Trägheitsmoment verschieden sein ([math]I_{zz}=J_2[/math]). Der Trägheitstensor hat damit folgende Gestalt:

[math] I = \left(\begin{matrix} J_1 & 0 & 0 \\ 0 & J_1 & 0 \\ 0 & 0 & J_2 \end{matrix}\right)[/math]

Transformiert man diesen Tensor wie oben beschrieben in ein Koordinatensystem, das um den Winkel [math]\vartheta[/math] um die y-Achse gedreht ist, so erhält man:

[math] I' = \left(\begin{matrix} J_1 \cos^2 \vartheta + J_2 \sin^2 \vartheta & 0 & \left( J_1 - J_2 \right) \sin \vartheta \cos \vartheta \\ 0 & J_1 & 0 \\ \left( J_1 - J_2 \right) \sin \vartheta \cos \vartheta & 0 & J_1 \sin^2 \vartheta + J_2 \cos^2 \vartheta \end{matrix}\right)[/math]

Daraus ergibt sich:

  1. Für [math] J_1 \ne J_2 [/math] sind die Trägheitsmomente für die x- und z-Achse von [math]\vartheta[/math] abhängig.
  2. Für [math] J_1 \ne J_2 [/math] ist der Trägheitstensor nicht mehr diagonal, es treten Deviationsmomente auf.
  3. Das Trägheitsmoment für die neue z-Achse ist: [math] J = J_1 \sin^2 \vartheta + J_2 \cos^2 \vartheta [/math]
  4. Für [math] J_1 = J_2 [/math] hängt wegen [math]\sin^2 \vartheta + \cos^2 \vartheta = 1[/math] das Trägheitsmoment nicht von der Richtung der Drehachse ab

Besondere Rotationsachsen

Hauptträgheitsachsen

Betrachtet man einen unregelmäßig geformten Körper, der um eine Achse durch seinen Schwerpunkt rotiert, so variiert dessen Trägheitsmoment je nach Lage der Drehachse. Dabei gibt es zwei Achsen, bezüglich derer das Trägheitsmoment des Körpers maximal bzw. minimal ist. Diese Achsen stehen immer senkrecht zueinander und bilden zusammen mit einer dritten, wiederum senkrecht auf beiden stehenden Achse die Hauptträgheitsachsen des Körpers. In einem von den Hauptträgheitsachsen aufgespannten Koordinatensystem ist der Trägheitstensor diagonal. Die zu den Hauptträgheitsachsen gehörenden Trägheitsmomente sind also die Eigenwerte des Trägheitstensor, sie heißen Hauptträgheitsmomente.

Die Hauptträgheitsachsen fallen mit eventuell vorhandenen Symmetrieachsen des Körpers zusammen. Sind zwei Hauptträgheitsmomente gleich groß, so sind alle Drehachsen in der Ebene, die von den zugehörigen Hauptträgheitsachsen aufgespannt wird, ebenfalls Hauptträgheitsachsen mit dem gleichen Trägheitsmoment. Das ist bei zylindersymmetrischen Körpern unmittelbar klar, gilt aber z. B. ebenso für einen Stab mit quadratischer oder hexagonaler Grundfläche. Für den Fall, dass alle Hauptträgheitsmomente identisch sind, ist wie oben gezeigt wurde jede Drehachse durch den Schwerpunkt eine Hauptträgheitsachse mit dem gleichen Trägheitsmoment. Für alle regelmäßigen Körper wie Kugel, Tetraeder, Würfel, usw. ist demnach das Trägheitsmoment für jede Achse durch den Schwerpunkt gleich groß.

Siehe auch: Trägheitsellipsoid

Eingespannte Achsen

Wenn ein starrer Körper um eine fest eingespannte Achse mit der Winkelgeschwindigkeit [math]\vec{\omega}[/math] rotiert (die Richtung des Vektors [math]\vec{\omega}[/math] ist die Richtung der Drehachse), so lässt sich der Drehimpuls [math]\vec{L}[/math] aus [math]\vec{L} = I \vec{\omega}[/math] berechnen. Dabei ist [math]I[/math] der Trägheitstensor. Im Allgemeinen hat der Drehimpuls [math]\vec{L}[/math] jetzt nicht die Richtung der Drehachse [math]\vec{\omega}[/math] und ist zeitlich nicht konstant, so dass die Lager ständig Drehmomente aufbringen müssen (Dynamische Unwucht). Nur bei Rotation um eine der Hauptträgheitsachsen ist [math] \vec{L} \parallel \vec{\omega} [/math].

Für die Drehimpulskomponente [math]L[/math] entlang der Drehachse gilt [math]L = J \omega[/math], dabei ist [math]\omega[/math] die Winkelgeschwindigkeit und [math]J[/math] das Trägheitsmoment bezüglich der Drehachse [math]\vec{\omega}[/math] . Die kinetische Energie der Rotation, auch kurz als Rotationsenergie bezeichnet, kann durch

[math] T_\mathrm{rot} = \frac{1}{2} J \omega^2 = \frac{L^2}{2J}[/math]

ausgedrückt werden. Diese Formeln zeigen die Analogie zu den entsprechenden Formeln für Impuls und kinetische Energie der Translationsbewegung.

Beispiele

Trägheitsmomente von Himmelskörpern

Fast alle größeren Körper im Weltall (Sterne, Planeten) sind angenähert kugelförmig und rotieren mehr oder weniger schnell. Das Trägheitsmoment um die Rotationsachse ist immer das größte des Himmelskörpers.

Die Differenz dieses „polaren“ und des äquatorialen Trägheitmoments hängt mit der Abplattung des Körpers zusammen, also seiner Verformung der reinen Kugelgestalt durch die Fliehkraft der Rotation. Bei der Erde liegt diese Differenz bei 0,3 Prozent, entspricht also fast der Erdabplattung von 1:298,24. Beim rasch rotierenden Jupiter sind diese Relativwerte rund 20mal größer.

Das Trägheitsmoment eines Himmelskörpers lässt wegen r² im obigen Integral auf die innere Konzentration seiner Masse schließen. Jenes der Erde ist viel kleiner, als wenn sie homogen aufgebaut wäre. Daraus kann man errechnen, dass der Erdkern aus Eisen (oder metallisch verdichtetem Wasserstoff) besteht.

Hauptträgheitsmomente einfacher geometrischer Körper

Wenn nicht ausdrücklich anders angegeben, liegt der Schwerpunkt auf der Drehachse auf die sich das Trägheitsmoment bezieht. Das Trägheitsmoment für Drehungen um andere Achsen kann man dann mit Hilfe des Satz von Steiner berechnen.

Abbildung Beschreibung Trägheitsmoment
Datei:Traegheit a punktmasse.png Eine Punktmasse im Abstand [math]r[/math] um eine Drehachse. [math]J = m \cdot r^2[/math]
Datei:Traegheit b zylindermantel.png Ein Zylindermantel, der um seine Symmetrieachse rotiert. [math]J = m \cdot r^2[/math]
Datei:Traegheit c vollzylinder.png Ein Vollzylinder, der um seine Symmetrieachse rotiert. [math]J = {1 \over 2} m \cdot r^2[/math]
Datei:Traegheit d hohlzylinder2.png Ein Hohlzylinder, der um seine Körperachse rotiert. Das „+“ sieht zunächst verblüffend aus, doch die Masse ist nicht wie beim Vollzylinder homogen verteilt, sondern liegt ausschließlich im Außenbereich. Ein Hohlzylinder hat also, bei gleicher Masse, im Vergleich zum Vollzylinder ein größeres Trägheitsmoment. [math]J = {1 \over 2} m \cdot (r_2^2+r_1^2)[/math]
Datei:Traegheit e vollzylinder 2.png Ein Vollzylinder, der um eine Achse rotiert, die senkrecht zur Symmetrieachse steht, und durch seinen Schwerpunkt geht. [math]J = {1 \over 4} m \cdot r^2 + {1 \over 12} m \cdot l^2[/math]
Datei:Traegheit f zylindermantel 2.png Ein Zylindermantel der senkrecht zu seiner Körperachse rotiert. [math]J = {1 \over 2} m \cdot r^2 + {1 \over 12} m \cdot l^2[/math]
Datei:Traegheit g stab1.png Ein dünner Stab, der senkrecht zur Symmetrieachse rotiert. Diese Formel ist eine Näherung für einen Zylinder mit [math]r\ll l[/math]. [math]J = {1 \over 12} m \cdot l^2[/math]
Datei:Traegheit h stab2.png Dünner Stab, der senkrecht zu seiner Körperachse um ein Ende rotiert. Diese Formel ist die Anwendung der Steiner-Regel auf den dünnen Stab. [math]J = {1 \over 3} m \cdot l^2[/math]
Datei:Traegheit i kugel1.png Eine Kugelschale, die um den Mittelpunkt rotiert, für eine Wandstärke [math]d \ll r[/math]. [math]J = {2 \over 3} m \cdot r^2[/math]
Datei:Traegheit j kugel1.png Eine massive Kugel, die um den Mittelpunkt rotiert. [math]J = {2 \over 5} m \cdot r^2[/math]
Datei:Traegheit k quader.png Ein Quader, der um eine Achse rotiert, die parallel zu einer seiner Kanten liegt. [math]J = {1 \over 12} m \cdot (a^2 + b^2)[/math]
100px Ein massiver Kegel, der um seine Achse rotiert. [math]J = {3 \over 10} m \cdot r^2[/math]
170px Eine vierseitige, regelmäßige Pyramide, die um ihre Symmetrieachse rotiert. [math]J = {1 \over 5} m \cdot r^2[/math]