Dynamische Systeme 1. Ordnung
Lernziele
Problemstellung
Ein mit Wasser gefülltes Gefäss hängt an einem Kraftmessgerät. Nachdem man den Stöpsel im Boden heraus gezogen hat, leert sich das Gefäss über einen dünnen Wasserstrahl, der nach unten weg geht. Über die Kraftmessung können wir das Masse-Zeit-Verhalten beobachten. Wann ist das Gefäss noch halb voll? Wann ist es leer? Gibt es eine Füllstand-Zeit-Funktion für dieses Problem? Sie haben dieses Problem ist der ersten Woche des ersten Semesters mit Hilfe eines systemdynamischen Tools modelliert und simuliert. Nun wollen wird dieses System und eine ganze Klasse von ähnlichen Problemen mathematisch behandeln.
Wir stellen dazu ein zylinderförmiges Gefäss, aus dem in bodennähe ein Röhrchen horizontal weg führt, auf eine Waage. Das Gefäss entlehrt also seinen Inhalt über ein längeres Röhrchen statt über ein kleines Loch. Damit haben wir ein klare Trennung von Speicher und Leiter. Das Verhalten des Speichers kann mit Hilfe der Kapazität beschrieben werden
- [math]\Delta V=C_V\Delta p[/math]
wobei für zylinderförmige Gefässe gilt
- [math]C_V=\frac{A}{\varrho g}[/math]
Die Druckdifferenz über dem Röhrchen treibt den Volumenstrom. Falls die Flüssigkeit zäh genug ist und der Durchmesser des Röhrchens nicht zu gross, bleibt die Strömung laminar, d.h. Volumenstromstärke und Druckdifferenz sind proportional zueinander
- [math]\Delta p = R_VI_V[/math]
Der laminare Strömungswiderstand kann mit Hilfe des Gesetzes von Hagen-Poiseuille berechnet werden. Beachten Sie, dass [math]\Delta p[/math] in den beiden Formeln eine unterschiedliche Bedeutung hat: im Kapazitivgesetz wird die Druckdifferenz zwischen zwei den Füllzuständen zu verschiedenen Zeitpunkten gebildet, im Widerstandsgesetz ist die Druckdifferenz über dem Rohr zum gleichen Zeitpunkt einzusetzen. Die erste Druckdifferenz wird demnach über eine Zeitspanne, die zweite über einer Länge gebildet.
Leiter
Lineare Widerstandsgesetze findet man in verschiedenen Gebieten der Physik
Gebiet | Menge | Potential | Gesetz | Beispiel |
---|---|---|---|---|
Hydrodynamik | Volumen | Druck | [math]\Delta p=R_VI_V[/math] | laminare Strömung |
Elektrodynamik | elektrische Ladung | Spannung | [math]U=RI[/math] | Widerstandselement |
Translationsmechanik | Impuls | Geschwindigkeit | [math]\Delta v_x=R_{px}F_x[/math] | linearer Dämpfer |
Rotationsmechanik | Drehimpuls | Winkelgeschwindigkeit | [math]\Delta \omega_x=R_{Lx}M_x[/math] | Wirbelstrombremse |
Thermodynamik | Energie | Temperatur | [math]\Delta T=R_WI_W[/math] | Wärmeleitung |
In den ersten vier Beispielen fliesst ein Mengenstrom über eine Potentialdifferenz (Wasserfallbild). Dabei wird Energie frei gesetzt und Entropie erzeugt. Weil bei der Wärmeleitung Entropie hinunter fliesst und gleichzeitig Entropie erzeugt wird, nimmt man meist die Wärmeenergie als erhaltene mengenartige Grösse.
Speicher
Speicher mit konstanter Kapazität findet man in den folgenden fünf Gebieten der Physik
Gebiet | Menge | Potential | Gesetz | Beispiel |
---|---|---|---|---|
Hydrodynamik | Volumen | Druck | [math]C_V\Delta p=\Delta V[/math] | zylinderförmiger Behälter |
Elektrodynamik | elektrische Ladung | Spannung | [math]CU=Q[/math] | Kondensator |
Translationsmechanik | Impuls | Geschwindigkeit | [math]mv_x=p_x[/math] | Hammer |
Rotationsmechanik | Drehimpuls | Winkelgeschwindigkeit | [math]J\omega_x=L_x[/math] | Schwungrad |
Thermodynamik | Energie | Temperatur | [math]C_p\Delta T=\Delta H[/math] | Wärmespeicher |
Die Masse eines Körpers bildet die Impulskapazität für alle drei Impulskomponenten. Rotierende Körper besitzen mindestens drei Hauptachsen mit drei verschiedenen Massenträgheitsmomenten. Nimmt man in der Thermodynamik die Energie als Bilanzgrösse, heisst die eigentliche Speichergrösse Enthalpie. Die Enthalpiekapazität oder Wärmekapazität bei konstantem Druck ist bei vielen Körpern über grössere Temperaturbereiche nahezu konstant.
RC-Glied
Taucht man in das Gefäss mit dem horizontalen Abflussrohr ein, steigt der Druck mit der Eintauchtiefe.
- [math]\Delta p=\varrho gh[/math]
Folgt man dann dem abfliessenden Medium durch das horizontale Rohr, sinkt der Druck kontinuierlich bis auf das Umgebungsniveau an. Folglich sind hydrosatischer Druckanstieg und reibungsbedingter Druckabfall gleich gross
- [math]\Delta p_C+\Delta p_R=0\[/math]
Setzt man nun die konstitutiven Gesetze (kapazitives und resistives) in die Druckgleichung ein, erhält man
- [math]\frac{V}{C_V}+R_VI_V=0[/math]
Ersetzt man die Stromstärke mit Hilfe der Bilanzgleichung für das Volumen,
- [math]I_V=\dot V[/math]
erhält man eine homogene Differentialgleichung erster Ordnung mit konstanten Koeffizienten
- [math]\frac{V}{C_V}+R_V\dot V=0[/math]
Diese Gleichung löst man mit folgendem Ansatz
- [math]V=V_0e^{-t/\tau}[/math]