HarmoS

Aus SystemPhysik

Das Projekt Harmonisierung der obligatorischen Schule (HarmoS) ist seit 2001 eine strategische Priorität der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren. Ein Kernstück des HarmoS-Konkordates sind landesweit verbindliche Bildungsstandards. Damit diese Standards festgelegt werden können, braucht es detaillierte Referenzrahmen. Ein Themenbereich im Bereich Naturwissenschaften (Bewegung, Kraft, Energie) ist für die Einführung in die Physik der dynamischen Systeme wie geschaffen.

Naturwissenschaften

Für den naturwissenschaftlichen Unterricht wurden acht Handlungsaspekte festgelegt

  • Interesse, Neugierde wecken
  • Fragen und Untersuchen
  • Information erschliessen
  • Ordnen, Strukturieren und Modellieren
  • Einschätzen und Beurteilen
  • Entwickeln und Umsetzen
  • Mitteilen und Austauschen
  • Eigenständig bearbeiten

Themenbereiche wurden insgesamt ebenfalls acht festgelegt

  • Planet Erde
  • Bewegung, Kraft, Energie
  • Kommunikation, Regelung, Steuerung
  • Stoffe
  • Lebensräume und -gemeinschaften
  • Mensch und Gesundheit
  • Natur-Gesellschaft-Technik: Perspektiven

Bewegung, Kraft, Energie

Leitlinien

Grundlegende Konzepte

Schlüsselbegriffe Beispiele Unser Kommentar
2. Klasse
Messen von Grundgrössen Zeit, Länge, Masse, Temperatur Welche Grössen werden von Kinder als grundlegend empfungen?
Gleichgewicht-Ungleichgewicht Alternative: Antrieb und Widerstand
Körper bewegen ziehen, stossen, heben, drücken (schnell und langsam) Schema unklar, Unterschied zwischen stossen und drücken?
6. Klasse
Energieträger Wind, Wasser, Sonne, Erdöl, Biogas, Holz, Steinkohle, Nahrung Energieträger und Beladungsmass als Konzept einführen
Energieumwandlung qualitativ Lageenergie, Bewegungsenergie, elektrische Energie, thermische Energie (Energieflussdiagramm) Unterschied zwischen gespeicherter und transportierter Energie darlegen
Geschwindigkeit einfache Geschwindigkeitsbestimmung (Messen von Wegen und Zeiten) Strecke statt Weg
9. Klasse
Energieerhaltung und -umwandlung einige Energieformen quantitativ: Lageenergie, Bewegungsenergie, elektrische Energie;
Energieumwandlung in unserem Körper (Atmung, Umwandlung im Muskel);
Reibung als "Energieverlust"
Einteilung inkonsistent
Energie umladen statt umwandeln
Reibung: Energie wird auf produzierte Entropie umgeladen
Kraft und Gegenkraft Messen von Kräften (Betrag und Richtung; Schwerkraft ist ortsabhängig; Masse ist ortsunabhängig);
Wirkung von Kräften
Impulsstrom und Impulsquelle unterscheiden
Zufluss verändert Inhalt, Durchfluss verformt das Material
mechanische und elektrische Leistung Leistung als umgewandelte Energie pro Zeit umladen statt umwandeln; Prozessleistung und zugeordneter Energiestrom
Impuls und Impulserhaltung qualitativ ohne den Begriff "Impuls" verwenden zu müssen Impuls mit Wucht oder Schwung gleichsetzen

Umsetzung der Reform

Stolpersteine

Das oben aufgeführte Konzept weist gefährliche Klippen auf. Es besteht die Gefahr, dass an unseren Schulen weiterhin Geschichten aus Özis Tagebuch unterrichtet werden. Ein paar Erkenntnisse aus der Physik des letzten Jahrhunderts sollten allen Lehrerinnen und Lehrern bekannt sein:

  • Energie ist Masse. Alle oben erwähnten Energieformen sind kleine Störterme der Ruhemasse. Energieformen sind deshalb als reine Buchhaltungsgrössen zu betrachten.
  • Energie-Masse und Impuls bilden einen Vierervektor in der Raumzeit. Folglich ist der Impuls genau so fundamental wie die Masse. Der Impuls ist eine Primärgrösse, die es aus den Phänomenen heraus zu entwickeln gilt.
  • zugeordneter Energiestrom und Prozessleistung können zu jedem Zeitpunkt aus den Messdaten berechnet werden. Insofern ist die Leistung ein grundlegenderer Begriff als etwa kinetische Energie oder potenzielle Energie.
  • Was mit Kraft und Gegenkraft gemeint ist, bleibt im Dunkeln. In den letzten fünfzig Jahren ist in den Lehrbüchern unglaublich viel Mist zum Wechselwirkungsprinzip (Kraft gleich Gegenkraft, Actio gleich Reactio) geschrieben worden (siehe Horrorkabinett). Dieser stümperhafte Umgang mit Newtons ersten Gehversuchen zeigt, wie abstrakt der Newtonsche Zugang auch für Fachleute ist. Wer vom Impuls her in die Mechanik einsteigt, kann auf die hoch abstrakten und von kaum jemandem verstandenen "Newtonsche Axiome" verzichten.

Lehrende

Die Ausbildungsqualität der Volksschullehrer in Physik ist in den letzten drei Jahrzehnten gemäss Aussagen von Experten eher schlechter geworden. Zudem sind fundierte Kenntnisse zur Physik des letzten Jahrhunderts (Relativitätstheorie, Quantenmechanik) kaum vorhanden. Deshalb versuchen die Lehrkräfte an unseren Volksschulen ihre Schülerinnen und Schüler wie zu Gotthelfs Zeiten mit Hilfe von Flaschenzügen, schiefen Ebenen und Dezimalwaagen in die Geheimnisse der Mechanik einzuweihen. Die aus der Schule entlassen stehen dann den Fragen nach dem Crashverhalten eines Autos, dem Treibstoffverbrauch von Fahrzeugen oder der Wirkweise eines Kühlschrankes völlig hilflos gegenüber. Wer an einer Volksschule lehrt, sollte deshalb mindestens soviel von Physik verstehen wie ein Absolvent des Studienganges Aviatik.