Wellenleiter

Aus SystemPhysik

Der Wellenleiter ist ein System, das eine Welle entlang eines bestimmten Weges führt. Der Wellenleiter kann in guter Näherung als eindimensionaler Kontinuum modelliert werden. Bei einem idealen Wellenleiter vernachlässigt man jegliche Dämpfung.

Theorie des idealen Wellenleiters

Gegeben sei eine beliebige Menge M sowie das zugehörige Potenzial φ. Die Mengenbilanz bezüglich eines Stücks des Wellenleiters lautet dann

[math]I_M(x)-I_M(x+\Delta x)=\dot M=\dot M^*\Delta x[/math]

Der Strom-Bezugspfeil zeige in Richtung der x-Koordinate. Deshalb ist die Stromstärke rechts des ausgewählten Systems mit einem Minuszeichen zu versehen. Eine Grösse pro Länge wird mit einem Stern bezeichnet. Nun dividieren wir die Gleichung durch die Länge des ausgewählten Elements (Δ x) und lassen diese Länge gegen Null streben

[math]-\frac{dI_M}{dx}\equiv -I_M'=\dot M[/math] oder [math]I_M'+\dot M=0[/math]

Eine Ableitung nach dem Ort wird hier - wie allgemein üblich in der Physik - mit einem Apostroph abgekürzt. Die Bilanz bezüglich eines infinitesimal kurzen Leiterstücks besagt somit, dass die Ableitung des Stromes nach dem Ort und die Ableitung der vorhandenen Menge nach der Zeit zusammen immer Null ergeben müssen. Dies ist ein Spezialfall der Kontinuumsgleichung.

Nun definiert man ein kapazitives Gesetz pro Länge

[math]M^*=C^*\varphi[/math]

Das induktive Gesetz formuliert wir vorerst wieder bezüglich eines kurzen Stücks des Wellenleiters

[math]\varphi(x)-\varphi(x+\Delta x)=L\dot I_M[/math]

Dividiert man diese Gleichung durch die Länge des Stücks und lässt diese gegen Null streben, erhält man das induktive Gesetz pro Länge

[math]-\frac{d\varphi}{dx}\equiv -\varphi'=L^*\dot I_M[/math]

Setzt man nun noch das kapazitive Gesetz in die Bilanz ein, bildet diese Gleichung zusammen mit dem induktiven Gesetz eine vollständige Beschreibung der Dynamik des Wellenleiters

[math]I_M'=-C^*\dot\varphi[/math] und [math]\varphi'=-L^*\dot I_M[/math]

Damit haben wir eine schöne Symmetrie zwischen Potenzial und Mengenstrom: die Ableitung der Stromstärke nach dem Ort ist gleich minus die Kapazität pro Länge mal die Änderungsrate des Potenzials und die Ableitung des Potenzials nach dem Ort ist gleich minus Induktivität pro Länge mal die Änderungsrate der Stromstärke.

Leitet man nun die erste Gleichung nach dem Ort und die zweite nach der Zeit ab, können die beiden Gleichungen zur Wellengleichung für die Stromsträrke kombiniert werden

[math]I_M''=C^*L^*\ddot I_M[/math]

Mit dem kreuzweise vertauschten Verfahren gewinnt man die Wellengleichung für die Potenzialgrösse

[math]\varphi''=C^*L^*\ddot\varphi[/math]

Die Grösse Kapazität pro Länge mal Induktivität pro Länge hat die Einheit Sekunde im Quadrat durch Meter im Quadrat und entspricht dem Reziprokwert des Quadrats der Wellengeschwindigkeit c

[math]\sqrt{C^*L^*}=\frac 1c[/math]

Anwendungen

Koaxialkabel

Im runden Koaxialkabel ist die Kapazität pro Länge gleich

[math]C^*=\frac{2\pi\epsilon}{\ln\left(R/r\right)}[/math]

Die Induktivität pro Länge ist bei genügend hoher Frequenz gleich

[math]L^*=\frac{\mu}{2\pi}\ln\left(R/r\right)[/math]

Dies ergibt eine Wellengeschwindigkeit von

[math]c=\frac{1}{\sqrt{\mu\epsilon}}[/math]

elastischer Stab

In einem schwingenden Stab (Querschnitt A) können sich Longitudinal- oder Transversalwellen fortpflanzen. Orientiert man den Stab in x-Richtung, bildet bei der Longitudinalwelle der x-Impuls und bei der Transversalwelle der y- oder der z-Impuls die bilanzierfähige Grösse. Die zugehörigen Geschwindigkeiten sind dann die entsprechenden Potenziale.

Die Masse pro Länge wirkt für alle drei Impulskomponenten als Induktivität pro Länge. Die Masse pro Länge entspricht der Dichte mal Querschnitt

[math]C^*=A\varrho[/math]

Die Induktivität pro Länge ist gleich dem Reziprokwert der Federkonstante pro Länge. Für die Longitudinalwelle ist dies (E steht für das Elastizitätsmodul)

[math]L^*=\frac{1}{AE}[/math]

Für die Transversal gilt (G ist das Schubmodul)

[math]L^*=\frac{1}{AG}[/math]

Weil das Schubmodul weniger als halb so gross wie das zugehörige Elastizitätsmodul ist, laufen die Transversalwellen immer langsamer als die Longitudinalwellen durch den Stab

[math]c=\sqrt{\frac{G}{\varrho}}[/math] bzw. [math]c=\sqrt{\frac{E}{\varrho}}[/math]

verdrehbarer Stab

Stäbe können auch Torsionswellen leiten. So treten z.B. in Antriebswellen Drehschwingungen auf. Dabei bildet der Drehimpuls die bilanzierfähige Menge und die Winkelgeschwindigkeit ist das zugehörige Potenzial. Das Massenträgheitsmoment wirkt kapazitiv und der Reziprokwert der Drehfederkonstante wirkt als (reziproke Induktivität). Daraus folgt

[math]c=\sqrt{\frac{D^*}{J^*}}[/math]

Wendet man diese Beziehung auf Stäbe und Wellen mit konstantem Querschnitt an, folgt für die Wellengeschwindigkeit

[math]c=\sqrt{\frac{GI_r}{\varrho I_r}}=\sqrt{\frac{G}{\varrho}}[/math]

Die grösse Ir ist das polare Flächenträgheitsmoment.

Rohr mit Flüssigkeit

In einem mit Flüssigkeit gefüllten Rohr (Durchmesser d)pflanzen sich Kompressionswellen fort. Die Schallgeschwindigkeit ist dann gleich

[math]c=\sqrt{\frac{1}{C^*L^*}}=c=\sqrt{\frac{1}{\frac{\pi d^2}{4K}\frac{4\varrho}{\pi d^2}}}=\sqrt{\frac{K}{\varrho}}[/math]

wobei K das Kompressionsmodul bezeichnet.

Rohr mit Gas

Die oben behandelten Wellen (Longitudinal-, Transversal- und Torsionswellen sowie die Kompressionawellen in Flüssigkeiten) werden oft unter dem Begriff Schallwelle zusammengefasst. Unter Schallwellen im engeren Sinne versteht man meist nur die Kompressionswellen in Gasen. Das Kompressionsmodul ist aus der thermischen Zustandsgleichung des idealen Gases (universelles Gasgesetz) zu berechnen. Vernachlässigt man die Wärmeleitung, erfolgt die Kompression isentrop. Setzt man die zugehörige Gleichung [math]\left(pV^{\kappa}=p_0V_0^{\kappa}\right)[/math] in die Definition für das Kompressionsmodul [math]\left(K=-\frac{1}{V}\frac{dV}{dp}\right)[/math] ein, erhält man für das Kompressionsmodul beim herrschenden Gasdruck

[math]K=\kappa p_0[/math]

Setzt man das Kompressionsmodul in die allgemeine Gleichung für die Wellengeschwindigkeit ein, folgt

[math]c=\sqrt{\frac{1}{C^*L^*}}=\sqrt{\frac{K}{\varrho}}=\sqrt{\frac{\kappa p_0}{\varrho}}=\sqrt{\kappa R_s T}=\sqrt{\frac{\kappa R T}{\hat m}}[/math]

In der zweitletzten Umformung ist das spezifische Gasgesetz und in der letzten das universelle Gasgesetz verwendet worden.

Wellen

In der Regel formuliert man die Wellengleichung für die Potenzialgrösse

[math]\ddot\varphi=c^2\varphi''[/math] mit [math]c^2=\frac{1}{C^*L^*}[/math]

Diese Gleichung folgt aus der Bilanz, dem kapazitiven sowie dem induktiven Gesetz bezogen auf ein eindimensionales Kontinuum. Die zugehörige Stromstärke gewinnt man mit einer der beiden weiter oben angegebenen Gleichungen erster Ordnung, die aus der Bilanz und der Kapazität oder der Induktivität abgeleitet worden sind, Die Lösungen der Wellengleichung lassen sich in zwei Gruppen einteilen, die laufenden und die stehenden Wellen.

laufende Wellen

Jede Potenzialfunktion über dem Argument [math]ct\pm x[/math] ist Lösung der Wellengleichung

[math]\varphi(t,x)=f(ct\pm x)[/math]

Das Pluszeichen ergibt eine in negative und das Minuszeichen eine in positive x-Richtung laufende Welle. Aus der Symmetrie zwischen räumlichen und zeitlichem Verhalten folgt, dass das Potenzials in Raum und Zeit gleich aussieht. Zudem zeigen diese Wellen keine Dispersion. Deshalb eignen sich ideale Wellenleiter bestens, um Information zu transportieren.

Harmonische Wellen dürfen als Basis der allgemeinen Welle angesehen werden. Eine harmonische Welle ist in Raum und Zeit sinusförmig verteilt

[math]\varphi(t,x)=\varphi_0\sin(ct\pm x+\delta_1)[/math]

oder mit Hilfe der Periode und der Wellenlänge bzw. der Kreisfrequenz und der Kreiswellenzahl geschrieben

[math]\varphi(t,x)=\varphi_0\sin(\frac{2\pi t}{T}\pm\frac{2\pi x}{\lambda}+\delta_2)=\varphi_0\sin(\omega t\pm \bar kx+\delta_2)[/math]

stehende Wellen

Die stehenden Wellen zeigen in Raum und Zeit das gleiche Verhalten

[math]\varphi(t,x)=f(ct)f(x)[/math]

Stehende Wellen können zu bestimmten Zeiten völlig verschwinden (Nusstelle von f(ct) oder ihre maximale Gestalt annehmen.

Eine stehende Welle lässt sich in Komponenten zerlegen, wobei man als Basis wieder die harmonischen Funktionen nimmt

[math]\varphi(t,x)=\varphi_0\sin(\omega t)\sin(\bar kx)[/math] oder [math]\varphi(t,x)=\varphi_0\cos(\omega t)\cos(\bar kx)[/math]

Energie

Nachfolgend betrachten wir nur eine harmonische Welle und berechnen aus der Potenzialfunktion mit Hilfe der weiter oben eingeführten Gleichungen erster Ordnung die Funktionen für die Mengenströme. Dabei werden folgende Beziehungen verwendet

  • dynamisch: [math]c=\sqrt{\frac{1}{C^*L^*}}[/math]
  • kinematisch: [math]c=\frac{\lambda}{T}=\lambda f=\frac{\omega}{\bar k}[/math]


Wellentyp Potenzial Mengenstrom Amplituden
laufend [math]\varphi(t,x)=\varphi_0\sin(\omega t-\bar kx)[/math] [math]I_M(t,x)=I_{M0}\sin(\omega t-\bar kx)[/math] [math]I_{M0}=cC^*\varphi_0=\frac{1}{cL^*}\varphi_0[/math]
stehend [math]\varphi(t,x)=\varphi_0\sin(\omega t)\sin(\bar kx)[/math] [math]I_M(t,x)=I_{M0}\cos(\omega t)\cos(\bar kx)[/math] [math]I_{M0}=cC^*\varphi_0=\frac{1}{cL^*}\varphi_0[/math]

Nun dürfen wir den Mengenströmen über das Potenzial einen Energiestrom zuordnen. Der zugeordnete Energiestrom bezüglich eines ausgewählten Querschnitts ist dann gleich Stärke des Mengenstromes mal das über den Querschnitt gemittelte Potenzial (hier entfällt die Mittelung, weil das Potenzial über einem ausgewählten Querschnitt des Wellenleiters konstant ist). Angewendet auf die Welle ergibt dies

laufend: [math]I_W(t,x)=I_{W0}\sin^2(\omega t-\bar kx)[/math] mit [math]I_{W0}=\varphi_0I_{M0}=cC^*\varphi_0^2=cL^*I_{M0}^2[/math]
stehend: [math]I_W(t,x)=\frac{I_{W0}}{4}\sin(2\omega t)\sin(2\bar kx)[/math] mit [math]I_{W0}=\varphi_0I_{M0}=cC^*\varphi_0=cL^*I_{M0}^2[/math]

Die laufende Welle nimmt die Energie entsprechend ihrer Intensität mit. Da sich Potenzial und Stromstärke miteinander verändern, nimmt die Stärke des Energiestromes quadratisch mit der Stromstärke bzw. quadratisch mit dem Potenzial zu. Bei der stehenden Welle wird die Energie mit doppelter Frequenz zwischen Gebieten hin und her geschoben, die um einen Viertel der Wellenlänge versetzt sind. Die Energie wird dabei einmal kapazitiv und einmal induktiv gespeichert.

Die pro Länge gespeicherte Energie setzt sich aus einem kapazitiven und einem induktiven Anteil zusammen

[math]W^*=\frac{C^*}{2}\varphi^2+\frac{L^*}{2}I_M^2[/math]

Dies ergibt für die laufende Welle eine mit bewegte Energieverteilung

[math]W^*(t,x)=W_0^*\sin^2(\omega t-\bar kx)[/math] mit [math]W_0^*=C^*\varphi_0^2=L^*I_{M0}^2[/math]

Die Energie wird demnach mit der Wellengeschwindigkeit c durch den Wellenleiter geführt

[math]I_W=cW^*[/math]

Bei der stehenden Welle verteilt sich die Energie entsprechend dem Potenzial und der Stromstärke

[math]W^*(t,x)=\frac{W_0^*}{2}\left(\sin^2(\omega t)\sin^2(\bar kx)+\cos^2(\omega t)\cos^2(\bar kx)\right)[/math]

Kopplung

Hängt man zwei Wellenleiter zusammen, wird eine auf die Grenzfläche auftreffende Welle teilweise reflektiert. Der Rest dringt in den andern Leiter ein und wandert dort weiter. An der Grenzfläche selber müssen die Stromstärken und die Potenziale der einlaufenden, der reflektierten und der transmittierten Welle zwei Bedingungen erfüllen

[math]I_{Me}=I_{Mr}+I_{Mt}[/math]
[math]\varphi_e+\varphi_r=\varphi_t[/math]

In Anlehnung an die Elektrizitätslehre führen wir nun eine Impedanz Z ein, welche die Stromstärke mit dem Potenzial verknüpft

[math]\varphi=ZI_M[/math] mit [math]Z=cL^*=\frac{1}{cC^*}=\sqrt{\frac{L^*}{C^*}}[/math]

Setzt man diese Definition in die Bezingungen für die Grenzfläche ein, erhält man

[math]I_{Mt}=\frac{2Z_1}{Z_1+Z_2}I_{Me}[/math]
[math]I_{Mr}=\frac{Z_2-Z_1}{Z_1+Z_2}I_{Me}[/math]

Mit 1 wird hier die Impedanz bei der einlaufenden und mit 2 bei der transmittierten Welle bezeichnet. Falls die beiden Wellenimpedanzen gleich gross sind, wird kein Anteil reflektiert. Ist die Impedanz 2 grösser als 1, ist bei der Grenzschicht das Potenzial der reflektierten Welle dem der einlaufenden entgegengesetzt (Phasensprung). Die Energieerhaltung ist durch die beiden Bedingungen gewährleistet.

Will man verhindern, dass am Ende eines Wellenleiters Reflexion auftritt, schliesst man die den Wellenleiter mit einem realen Widerstand ab, der dieser Impedanz entspricht. Deshalb nennt man die oben eingeführte Impedanz auch Wellenwiderstand. Dies, obwohl im idealen Wellenleiter keine Dissipation stattfindet.

Wellenleiter Wellenwiderstand
Koaxialkabel [math]Z=\frac{\ln(R/r)}{2\pi}\sqrt{\frac{\mu}{\epsilon}}[/math]
Stab: Longitudinal [math]Z=\frac{1}{A\sqrt{\varrho E}}[/math]
Stab: Transversal [math]Z=\frac{1}{A\sqrt{\varrho G}}[/math]
Stab: Torsion [math]Z=\frac{1}{I_r\sqrt{\varrho G}}[/math]
Rohr mit Flüssigkeit [math]Z=\frac{1}{A\sqrt{\varrho K}}[/math]
Rohr mit Gas [math]Z=\frac{1}{A\sqrt{\kappa\varrho^2 R_sT}}[/math]

Beispiele