HarmoS: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 17. August 2009, 09:45 Uhr
Das Projekt Harmonisierung der obligatorischen Schule (HarmoS) ist seit 2001 eine strategische Priorität der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren. Ein Kernstück des HarmoS-Konkordates sind landesweit verbindliche Bildungsstandards. Damit diese Standards festgelegt werden können, braucht es detaillierte Referenzrahmen. Ein Themenbereich im Bereich Naturwissenschaften (Bewegung, Kraft, Energie) ist für die Einführung in die Physik der dynamischen Systeme wie geschaffen.
Naturwissenschaften
Für den naturwissenschaftlichen Unterricht wurden acht Handlungsaspekte festgelegt
- Interesse, Neugierde wecken
- Fragen und Untersuchen
- Information erschliessen
- Ordnen, Strukturieren und Modellieren
- Einschätzen und Beurteilen
- Entwickeln und Umsetzen
- Mitteilen und Austauschen
- Eigenständig bearbeiten
Themenbereiche wurden insgesamt ebenfalls acht festgelegt
- Planet Erde
- Bewegung, Kraft, Energie
- Kommunikation, Regelung, Steuerung
- Stoffe
- Lebensräume und -gemeinschaften
- Mensch und Gesundheit
- Natur-Gesellschaft-Technik: Perspektiven
Bewegung, Kraft, Energie
Leitlinien
- von Grundgrössen über Energie zu Kraft und Leistung
- von einfachen Beschreibungen von Bewegungen über die Geschwindigkeit zum Impuls
Grundlegende Konzepte
Schlüsselbegriffe | Beispiele | Unser Kommentar |
---|---|---|
2. Klasse | ||
Messen von Grundgrössen | Zeit, Länge, Masse, Temperatur | Welche Grössen werden von Kinder als grundlegend empfungen? |
Gleichgewicht-Ungleichgewicht | Alternative: Antrieb und Widerstand | |
Körper bewegen | ziehen, stossen, heben, drücken (schnell und langsam) | Schema unklar, Unterschied zwischen stossen und drücken? |
6. Klasse | ||
Energieträger | Wind, Wasser, Sonne, Erdöl, Biogas, Holz, Steinkohle, Nahrung | Energieträger und Beladungsmass als Konzept einführen |
Energieumwandlung qualitativ | Lageenergie, Bewegungsenergie, elektrische Energie, thermische Energie (Energieflussdiagramm) | Unterschied zwischen gespeicherter und transportierter Energie darlegen |
Geschwindigkeit | einfache Geschwindigkeitsbestimmung (Messen von Wegen und Zeiten) | Strecke statt Weg |
9. Klasse | ||
Energieerhaltung und -umwandlung | einige Energieformen quantitativ: Lageenergie, Bewegungsenergie, elektrische Energie; Energieumwandlung in unserem Körper (Atmung, Umwandlung im Muskel); Reibung als "Energieverlust" |
Einteilung inkonsistent Energie umladen statt umwandeln Reibung: Energie wird auf produzierte Entropie umgeladen |
Kraft und Gegenkraft | Messen von Kräften (Betrag und Richtung; Schwerkraft ist ortsabhängig; Masse ist ortsunabhängig); Wirkung von Kräften |
Impulsstrom und Impulsquelle unterscheiden Zufluss verändert Inhalt, Durchfluss verformt das Material |
mechanische und elektrische Leistung | Leistung als umgewandelte Energie pro Zeit | umladen statt umwandeln; Prozessleistung und zugeordneter Energiestrom |
Impuls und Impulserhaltung qualitativ | ohne den Begriff "Impuls" verwenden zu müssen | Impuls mit Wucht oder Schwung gleichsetzen |
Umsetzung der Reform
Stolpersteine
Das oben aufgeführte Konzept weist gefährliche Klippen auf. Es besteht die Gefahr, dass an unseren Schulen weiterhin Geschichten aus Özis Tagebuch unterrichtet werden. Ein paar Erkenntnisse aus der Physik des letzten Jahrhunderts sollten allen Lehrerinnen und Lehrern bekannt sein:
- Energie ist Masse. Alle oben erwähnten Energieformen sind kleine Störterme der Ruhemasse. Energieformen sind deshalb als reine Buchhaltungsgrössen zu betrachten.
- Energie-Masse und Impuls bilden einen Vierervektor in der Raumzeit. Folglich ist der Impuls genau so fundamental wie die Masse. Der Impuls ist eine Primärgrösse, die es aus den Phänomenen heraus zu entwickeln gilt.
- zugeordneter Energiestrom und Prozessleistung können zu jedem Zeitpunkt aus den Messdaten berechnet werden. Insofern ist die Leistung ein grundlegenderer Begriff als etwa kinetische Energie oder potenzielle Energie.
- Was mit Kraft und Gegenkraft gemeint ist, bleibt im Dunkeln. In den letzten fünfzig Jahren ist in den Lehrbüchern unglaublich viel Mist zum Wechselwirkungsprinzip (Kraft gleich Gegenkraft, Actio gleich Reactio) geschrieben worden (siehe Horrorkabinett). Dieser stümperhafte Umgang mit Newtons ersten Gehversuchen zeigt, wie abstrakt der Newtonsche Zugang auch für Fachleute ist. Wer vom Impuls her in die Mechanik einsteigt, kann auf die hoch abstrakten und von kaum jemandem verstandenen "Newtonsche Axiome" verzichten.
Lehrende
Die Ausbildungsqualität der Volksschullehrer in Physik ist in den letzten drei Jahrzehnten gemäss Aussagen von Experten eher schlechter geworden. Zudem sind fundierte Kenntnisse zur Physik des letzten Jahrhunderts (Relativitätstheorie, Quantenmechanik) kaum vorhanden. Deshalb versuchen die Lehrkräfte an unseren Volksschulen ihre Schülerinnen und Schüler wie zu Gotthelfs Zeiten mit Hilfe von Flaschenzügen, schiefen Ebenen und Dezimalwaagen in die Geheimnisse der Mechanik einzuweihen. Die aus der Schule entlassen stehen dann den Fragen nach dem Crashverhalten eines Autos, dem Treibstoffverbrauch von Fahrzeugen oder der Wirkweise eines Kühlschrankes völlig hilflos gegenüber. Wer an einer Volksschule lehrt, sollte deshalb mindestens soviel von Physik verstehen wie ein Absolvent des Studienganges Aviatik.